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Neue Genderidentitätsleitlinie für Kinder - und immer wieder Identität

Seit ein paar Tagen ist die neue Fassung der Diagnose "Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter – Diagnostik und Behandlung (S2k)" am Start. Immer noch wird davon ausgegangen, dass Menschen - in diesem Fall Menschen, die von anderen Menschen "Kinder" genannt werden - irgendeine soziale geschlechtliche Andersidentifizierung haben können aber gleichzeitig wird ignoriert, dass Menschen existieren, die ohne eine solche Identifizierung transsexuell sein können.

Dass Körper vom Geschlecht abweichen können, kommt nicht vor. Da sind sich Trumpanhänger und Trumpgegner einig. An der patriarchalen Idee, dass man das "biologische Geschlecht" eines Menschen immer am sichtbaren Körper eines Menschen ablesen kann, wird festgehalten. Und wenn sich ein Mensch dann dazu abweichend äussert, dann wird - nach wie vor - vermutet, dass dieser Mensch sich eben nicht mit dem zugewiesenen Geschlecht identifiziere, sondern eben mit einem anderen. Das nennt sich dann "Geschlechtsdysphorie". Dass ein Mensch gar keine Identifikation mit irgendwelchen Geschlechtern benötigt, um wissen zu können, dass der geschlechtliche Körper nicht zu einem selbst passt, ist eine Idee, die nicht sein darf, weil das ja bedeuten würde, dass Geschlechtszuweisungen anhand der Genitalien gar keine endgültige Aussagekraft besitzen (können). Es ist eine Ignoranz, die Kinder zum Gegenstand von Interessen macht: religiösen Extremisten (siehe U.S.A.) einerseits und moderaten Patriarchen, die glauben, sie wussten, wie man Menschen mit "Geschlechtsdysphorie" behandeln solle, andererseits.

Wenn man meint, es bräuchte unbedingt jemanden, der sich mit der Psyche von Menschen auskennt, um Menschen medizinische Behandlungen zu ermöglichen, dann muss man aus geschlechtlichen Variationen so etwas machen wie "Geschlechtsdysphorie". Und wer meint Kinder seien so unreif zu wissen, was ihnen gut tut, der mischt sich ein und versucht sie zu beeinflussen. Entweder er redet ihnen ihre Spinnerei aus, weil er der gläubigen Rechten angehört, oder er macht das Gegenteil. Paternalistisch ist beides.

Dabei könnte es ganz anders sein: Man könnte versuchen, Menschen - und auch Kinder sind Menschen - mit medizinischen Massnahmen, die den Körper betreffen, zu helfen, wenn das Thema der Körper ist. Dazu müsste aber anerkannt werden, dass Gender und Sex zwei unterschiedliche Dinge sind, und das "biologische Geschlecht" mehr ist, als die soziale Vorstellung darüber. Dann könnten Menschen - auch Kinder - so behandelt werden, dass medizinische Massnahmen, die den Körper betreffen, frei von Gender-Vorstellungen der Behandelnden sind. Es ist nicht erkennbar, dass die an der Erstellung der Leitlinien beteiligten, dazu bislang bereit waren, einen Schritt in diese Richtung einzuschlagen. Das ist deswegen so schade, da die Leitlinien damit auf dem selben weltanschaulichen Boden stehen, wie dem der Anti-Transaktivisten aus dem religiös-extremistischen Lager.

Deswegen eine Bitte: Versucht es wenigstens mal, den Wunsch nach körperverändernden Eingriffen ohne Bezug zu Gender-Identität zu denken. Es wäre wirklich toll, wenn diese Bitte nicht verweigert würde. Herzlichen Dank dafür.

Link:

https://register.awmf.org/assets/guidelines/028-014l_S2k_Geschlechtsinkongruenz-Geschlechtsdysphorie-Kinder-Jugendliche-Diagnostik-Behandlung_2025-03_1.pdf

Über patriarchale Grenzziehungen

In einer Welt, in der Menschen immer noch der Ansicht sind, dass man "als Frau geboren" oder "als Mann geboren" sein kann und solche Aussagen nicht für allgemeines Kopfschütteln sorgen, brauchen wir uns kaum darüber wundern, warum patriarchale Strukturen immer noch existieren. Eine der Grundvoraussetzungen von patriarchale Macht ist, Unsinn zu denken und Unsinn zu Gesetzen zu erklären. Feminismus bedeutet auch, diesen Unsinn als solchen zu benennen.

Wer meint, Menschen werden "als Frau" oder "als Mann" geboren, muss sich die Schmerzen vorstellen, die so ein Geburtsvorgang hervorrufen würde. Nein, Menschen kommen als Säuglinge auf die Welt. Interessanterweise sind häufig genug diejenigen, die eine "Frühsexualisierung" beklagen (in der Regel Menschen aus dem rechten politischen Spektrum), auch diejenigen, welche die Aufteilung in die sozialen Kategorien Frau/Mann nach der Geburt ganz klar befürworten. Die Paradoxidität ihrer Forderungen und der Widerspruch zwischen Gesagtem und Gesagtem fällt ihnen dabei offensichtlich nicht auf. Nicht gendern solle man, fordern sie lautstark ein, während sie zugleich soziale Kategorien wie "Mann" und "Frau" für die "Biologie" halten. Auch die geschlechtlich-körperliche Entwicklung, die bis zum Ende der Pubertät anhält, scheint Menschen, die meinen, man sei "als Mann geboren" oder "als Frau geboren" völlig unbekannt zu sein.

Jeder Mensch kommt als Kind auf die Welt. Und die geschlechtliche Entwicklung eines Menschen unterscheidet sich von der eines jeden anderen Menschen. Das macht uns zu Individuen, die mehr sind als etwa Angehörige einer Art. Geschlechtliche Variationen existieren, sie sind keine soziale Erfindung sondern Realität.

Patriarchale Grenzziehungen stützen sich auf die Behauptung, dass die soziale Einteilung von Menschen in unterschiedliche Kategorien biologische Grundlagen haben. Was bei der Rassenlehre der Nationalsozialisten heute von den meisten Menschen - ausser Rechtsextremisten - als falsch angesehen wird, löst bei Geschlecht heute noch keinen so grossen Protest aus, obwohl die Idee der Einteilungen in unterschiedliche Menschengruppen in beiden Fällen auf den selben unsinnigen Grundannahmen basiert. Menschen werden genauso wenig "biologisch" als Angehörige irgendwelcher Rassen geboren, wie Menschen "als Frau geboren" oder "als Mann geboren" werden. Wer sich auf "Biologie" beruft, um Menschen einzusortieren - und sie zu beherrschen - lügt. Es ist kein Zufall, dass rechtsextreme Despoten wie Donald Trump dauerhaft lügen (müssen). Patriarchale Macht braucht die dauerhafte Erzählung von unterschiedlichen Völkern und Geschlechtern. Damit die Erzählungen glaubwürdiger sind, müssen die Menschen, die bereits durch ihre blosse Existenz beweisen können, wie unsinnig das Erzählte ist, unsichtbar gemacht werden. Was die Erzählung stört, muss weg.

Ziel der Beweisvernichtung ist nicht primär die Verfolgung von Minderheiten, sondern die Aufrechterhaltung der Erzählung für Mehrheiten. Wer Menschen mit geschlechtlichen Variationen unsichtbar macht, will Mehrheiten geschlechtlich beherrschen. Die Ausgrenzung und Verfolgung geschlechtlicher Minderheiten ist immer anti-feministisch.

Wer hinsieht, welche Ziele Rechtsextremisten und radikalisierte Gläubige haben und dazu Gegenstrategien entwickeln will, sollte damit anfangen, soziale Grenzziehungen zu hinterfragen und sich über die eigenen Komplizenschaften bewusst werden.