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Das Selbstbestimmungsgesetz tritt in Kraft - es ist ein Anfang

Wir sind an der Idee, dass jeder Mensch seinen Geschlechtseintrag frei und selbstbestimmt bestimmen lassen können sollte, nicht ganz unschuldig. Immerhin hatten wir diesen Impuls in unserem Menschenbericht zu CEDAW 2008 bei den Vereinten Nationen eingebracht. Doch die Debatte um geschlechtliche Selbstbestimmung ist nicht am Ende - auch weil der Fokus auf Gender gleichzeitig Geschlechterstereotype verstärkt hat und die Frage, was das "biologische Geschlecht" ist, links liegen blieb.

Wenn heute Menschen selber sagen können, wer sie geschlechtlich sind, ist das zu begrüssen. Die Frage ist aber: Wird anerkannt, dass sie sich zu ihrem Geschlecht äussern, oder gesteht man ihnen nur zu, einen gewissen Lifestyle leben zu können? Wir haben die einseitige Konzentration auf selbstbestimmte Gender (der geschlechtlichen Rolle / der Identität) immer abgelehnt und wollten mit unseren Forderungen vor den Vereinten Nationen im Jahr 2008 auch hinterfragen, ob es sich beim Akt der Zuweisung von Geschlecht anhand körperlich sichtbarer Merkmale überhaupt um so etwas wie eine "biologische Geschlechtsbestimmung" handelt, oder genau diese Zuweisung der erste Schritt ist, Menschen geschlechtlichen sozialen Kategorien zuzuordnen.

Nun 16 Jahre später scheint es so zu sein, dass sich zwar die Freiheit, geschlechtliche Rollen ausleben zu können, die von der eigentlichen Zuordnung abweichen, vergrössert hat - wir haben gesellschaftlich mehr Gendervielfalt - die Definition über das, was Menschen gerne vorschnell "das biologische Geschlecht" nennen, hat sich aber auch verengt. Menschen, die mit körpermerkmalen geboren werden, bei der die Immer-Noch-Geschlecht-Zuweisenden - in der Regel Ärzt*innen - sich unsicher sind, gelten als drittes biologisches Geschlecht, alle anderen weiterhin als Menschen, die eindeutig "als Mann" oder "als Frau geboren" sind (siehe dazu auch unsere Biologismensammlung). Die Zuweisungspraxis hat nicht aufgehört - in ihr wird immer noch behauptet, ein "biologisches Geschlecht" bestimmen zu können - wer später aufbegehrt, gilt als jemand, der eben anders leben will, als sein "biologisches Geschlecht".

Die Vernachlässigung der Debatte, was das "biologische Geschlecht" ist, hat inzwischen Rechtsextremisten, rechte Christen und Mario-Barth-Feministinnen gestärkt, die - nach wie vor im Einklang mit Medizin und Psychologie - weitgehend unkritisiert behaupten können, dass die Zuweisung eines "biologischen Geschlechts" bei der Geburt eindeutig möglich sei. Ihre Vorstellung ist, dass das biologische Geschlecht eindeutig feststellbar ist und man Menschen naturgegebenen sozialen Sphären zuweisen darf. Dass es sich um Antifeminismus handelt, nur am Rande, da insbesondere von Menschen, die dann dem sozialen Gender "Frau" zugeordnet werden in patriarchalen Gesellschaften verlangt wird, sich dem "Mann" unterzuordnen. Dafür bekämen Frauen - quasi als Ausgleich - besondere Bereiche, die sie dann als "Schutzräume" oder Rückzugsort für sich zur Verfügung haben. Ob Frauengarten im Iran oder Frauensauna in Deutschland - der Gedanke ist derselbe.

Da nun das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft getreten ist, wäre unser Wunsch: Können wir nun bitte darüber sprechen, was Menschen meinen, wenn sie sich zu ihrem Geschlecht äussern? Können wir wieder Debatten führen, in denen das "biologische Geschlecht", das einige Menschen meinen bestimmen zu können, zum Thema der Auseinandersetzung wird? Können wir dann am Ende dieser Debatte anerkennen, dass sich Menschen selbstbestimmt zu ihrem biologischen(!) Geschlecht äussern können und die Deutung anhand von Körpermerkmalen an Säuglingen nie eine Aussage über eine biologische Realität ist? Kann damit aufgehört werden, von "als Mann geboren" oder "als Frau geboren" zu sprechen? Kann anerkannt werden, dass Menschen als Kinder auf die Welt kommen? Können wir die Realität betrachten und feststellen, dass Körper von Menschen individuell ganz unterschiedlich sind? Sprich: Kann Selbstbestimmung ernst genommen werden?

Ein Gesetz ist gut, dass diese Debatten ermöglicht. Aber wir stehen immer noch ganz am Anfang.

Rede von Thomas Haldenwang

Am 27. September 2024 fand in Berlin die 2. Queerpolitische Menschenrechtskonferenz der SPD-Bundestagsfraktion statt. Rechtsextreme Akteure und ihr Unterstützerumfeld (Rechte aus Adel und Kirche, sowie faschistische Gruppierungen/Parteien) sahen sich im Anschluss davon irritiert, dass der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Thomas Haldenwang auf dieser Veranstaltung eine Rede gehalten hat. Wir wollen aus einem Redemenuskript zitieren.

Ausschnitt aus der Rede von Thomas Haldenwang (Präsident des Bundesverfassungsschutzes):


Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist ein grundlegender Bestandteil rechtsextremistischer Ideologie. Die Gesellschaft zu spalten, ist ihre Strategie und ihr Ziel. Diversität in sexueller Orientierung, in Partnerschafts- und Familienmodellen lehnen Rechtsextremisten weitgehend ab. Für sie zählen aus völkischer Sicht nur die Ehe zwischen Mann und Frau und die ethnisch reine deutsche Familie, da nach ihrer Ansicht nur sie einen vermeintlich drohenden „Volkstod“ verhindern kann. Hiervon abzuweichen, bedeutet folglich eine „Zersetzung des Volkskörpers“ und den kulturellen Verfall.

Rechtsextremisten wie beispielsweise die neonazistische Kleinpartei „Der III. Weg“ behaupten, es gebe eine gezielte „Gender-Propaganda“ mit der die Gesellschaft manipuliert oder sogar sexuell umerzogen werden solle. Sie unterstellen, dass öffentlich-rechtliche Medien, Konzerne, Politiker und Schulen diese Propaganda aktiv verbreiten.

Teile der Neuen Rechten polarisieren mit dem Kampfbegriff „GloboHomo“ und warnen vor einer vermeintlich weltweit voranschreitenden Homogenisierung der Gesellschaft und vor Identitätsverlust. Dabei handelt es sich um eine Wortschöpfung aus „globalistisch“ und variabel je nach Kontext aus „homogen“ oder „homosexuell“. In diesem Zusammenhang schreibt Martin Sellner, die langjährige Führungsfigur der „Identitären Bewegung“, in einem Beitrag für das rechtsextremistische „COMPACT“-Magazin:

„Der Regenbogen-Angriff stellt damit die letzte Stufe einer Attacke auf die menschliche Identität dar. Das heimat-, kultur- und geschlechtslose Transwesen ist der neue, verflüssigte Homo migrans, den die Eliten wollen.“

Was für eine verdrehte und verstörende Gedankenwelt!

Gerade im virtuellen Raum verbreiten Rechtsextremisten ihre queerfeindlichen Inhalte – sei es als direkte Hassbotschaft oder indirekt durch Memes oder Codes. Dabei nutzen sie beispielsweise unverdächtig klingende Hashtags, mit denen sie auch Nicht-Extremisten erreichen wollen, um sie in ihre Echokammer ziehen und radikalisieren zu können.

Entsprechend sind öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen und Termine der Queer-Community für Rechtsextremisten Trigger-Ereignisse.

Im Kontext des Pride Month stellt das BfV eine Vielzahl queerfeindlicher Äußerungen und Anfeindungen von Rechtsextremisten im virtuellen Raum fest. Als Gegenbewegung zum Pride Month initiierten Rechtsextremisten im letzten und auch in diesem Jahr den sogenannten „Stolzmonat“. Dabei inszenieren sie in ihren Augen patriotische Aktionen und hetzen unter diesem Deckmantel gegen die LGBTQ-Community.

In diesem Jahr rückten auch nach dem Ende des Pride Month Veranstaltungen der LGBTQ-Communtiy in den Fokus von gewaltorientierten Rechtsextremisten. Es kam mehrfach zu Störversuchen und zu offenen Konfrontationen: Ich erinnere zum Beispiel an die diesjährige CSD-Parade im sächsischen Bautzen. Dort standen 1.000 CSD-Teilnehmende über 700 rechtsextremistischen Gegendemonstranten gegenüber. Es wurden Regenbogenflaggen angezündet, Pyrotechnik abgebrannt und rechtsextremistische Parolen skandiert. Auch in anderen Städten wie Leipzig, Magdeburg oder Zwickau mobilisierten Rechtsextremisten gegen die CSD-Paraden. Solchen Einschüchterungsversuchen von rechts und Angriffen auf unsere freiheitliche Gesellschaft müssen wir entschlossen entgegentreten!

Da Diversität und Gleichberechtigung zurecht mehr in den Fokus der Öffentlichkeit drängen, müssen wir damit rechnen, dass Rechtsextremisten zukünftig noch stärker versuchen, diese Themen ideologisch zu besetzen, und ihrer Hetze freien Lauf lassen.

Ich komme nun zum zweiten Phänomenbereich, den ich beleuchten will: zum Islamismus.

Islamisten beschwören ein traditionelles, streng patriarchalisches Familienbild als Teil einer umfassend geregelten gesellschaftlichen Ordnung. Der Mann ist Familienoberhaupt und Familienrepräsentant, während die Frau als Mutter auf den familiären und privaten Bereich beschränkt ist. Die Ablehnung von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt ist fester Bestandteil von allen islamistischen Ideologien. Länder oder Herrschaftsformen mit konservativ-islamischer und islamistischer Gesetzgebung gehen auch heute noch repressiv gegen Homosexualität vor. Das geht bis zur Anwendung der Todesstrafe.

Jihadistische Gruppierungen gehen immer wieder brutal gegen Homosexuelle vor oder thematisieren LGBTQ regelmäßig in ihrer Propaganda als Feindbild. Einige Beispiele:

Das Onlinemagazin „Voice of Khurasan“, das dem afghanischen IS-Ableger „Islamischer Staat Provinz Khorasan“, kurz: ISPK, zugeordnet wird, veröffentlichte einen Beitrag, in dem die LGBTQ-Bewegung als „moralische Verzerrung“ bezeichnet wird. Homosexualität zu tolerieren, sei ein „neu entwickelter Virus“.

Die „al-Qaida“-Medienstelle „as-Sahab“ publizierte einen Text, in dem ein ägyptischer Journalist kritisiert wird. Im arabischsprachigen Fernsehsender Alhurra habe er gesagt, dass es Zeiten gab, in denen Homosexualität unter Muslimen verbreitet war. Am Ende des Beitrags wird dazu aufgerufen, diesen Journalisten umzubringen.

Ein letztes Beispiel: Auf Instagram wurde ein Video verbreitet, in dem ein Mann fragt, wann es endlich in Ordnung sei, als Muslim schwul zu sein. Danach ist die Sittenpolizei des IS zu sehen, wie sie einen Mann mit verbundenen Augen von einem Häuserdach in den Tod stürzt, was zu Zeiten des IS-Kalifats mehrfach mit Homosexuellen praktiziert wurde.

Queerfeindliche Äußerungen und Propaganda gibt es natürlich auch aus der islamistischen Szene in Deutschland. Vielfach kommen sie von Predigern und Influencern. Bekannte Beispiele sind Pierre Vogel und Ibrahim El-Azzazi. Vogel behauptet in Videos, wer Homo- und Transsexualität gutheißt, kann kein Muslim sein. El-Azzazi sagt unmissverständlich in YouTube- und TikTok-Clips: Homosexualität sei im Islam verboten und dürfe nicht ausgelebt werde. Die Gruppierungen „Realität Islam“, „Generation Islam“ oder „Muslim Interaktiv“ verbreiten regelmäßig das Gleiche auf ihren Social-Media-Kanälen. Mit ihrer queerfeindlichen Agitation bestärken sich Prediger, Influencer und islamistische Gruppierungen auch gegenseitig und erzielen im virtuellen Raum eine große Reichweite – auch über die Grenzen des islamistischen Spektrums hinaus. Queerfeindlichkeit kann so auch zum Brückennarrativ werden, das diesen islamistischen Akteuren Zulauf beschert.

Die befeuerten Einstellungen führen auch immer wieder zu körperlichen Auseinandersetzungen. Und dass die auch tödlich enden können, hat uns der islamistische Messerangriff auf ein homosexuelles Paar vor vier Jahren in Dresden leidvoll bewiesen.

Ich komme zum Schluss: Offenkundig erfüllt Queerfeindlichkeit eine strategische Doppelfunktion für Rechtsextremisten und Islamisten: Einerseits grenzen sie sich nach innen gegen ihr Feindbild ab und andererseits hoffen sie, an gesellschaftliche Ressentiments andocken und Unterstützung finden zu können. Letztlich aber teilen beide den Hass auf Moderne, Toleranz und Vielfalt.

Sie sehen in der Gleichstellung der Geschlechter, in der sexuellen Selbstbestimmung und in der Anerkennung von LGBTQ-Rechten eine Bedrohung für ihre Werte und Traditionen. Deswegen agitieren sie mit aller Kraft und verbreiten ihre hasserfüllte Hetze gegen die LGBTQ-Communtiy.

Unsere Gesellschaft muss aber ihren offenen Charakter bewahren, ihre Vielfalt schützen und ihre Freiheit leben. Deswegen müssen wir den hasserfüllten Angriffen von Extremisten begegnen, sei es mit der Durchsetzung von Recht und Gesetz oder mit überlegenen Argumenten. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Quelle: https://dserver.bundestag.de/btd/20/133/2013317.pdf