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Die Süddeutsche Zeitung, Biologismen und geschlechtliche Rollbacks

Die Süddeutsche Zeitung schreibt am 19. Mai 2018 folgendes:
 
"Menschen ohne eindeutiges biologisches Geschlecht sollen im Geburtenregister eine eigene Kategorie erhalten."
"Intersexuelle lassen sich nach der Geburt nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen."
"Transgender oder transidente Personen besitzen rein äußerlich männliche oder weibliche Geschlechtsmerkmale, fühlen sich aber dem anderen Geschlecht zugehörig."
 
Und schon wieder geht es um Deuten von Geschlecht, um Zuordnungen, um das Festhalten an Biologismen, die dann Geschlecht auf die Genitalien (oder wahlweise Chromosomen) reduzieren will, und ähnliches. Und es geht - wie üblich - darum dann zu sagen, dass Menschen, die anderes äussern, als die Deutung, sich dann anders fühlten, als ihr ach so eindeutiges "biologisches Geschlecht".
 
Es ist schon sehr frustrierend zu sehen, dass die Politik und Lobbygruppen bis heute keinen Millimeter darüber Gedanken gemacht haben, was eine Deutung von Geschlecht meint. Es meint, Menschen ein "Biologisches Geschlecht" zuzuschreiben - auf Grund von Körpermerkmalen - und dann denen, die sich anders äussern eine "Geschlechtsidentität" zu unterstellen, die von diesem behaupteten "biologischen Geschlecht" abweicht. Die Diskussion um den dritten Geschlechtseintrag zeigt, dass wir uns gesellschaftlich zur Zeit eher rückwärtsbewegen, anstatt vorwärts.
 
Der Politik - insbesondere dem Familienministerium (SPD) - wäre zu raten, nicht nur Gespräche mit den üblichen Verdächtigen zu führen, die es nicht schaffen, emanzipierte Forderungen zu stellen, sondern sich auch einmal mit Menschen zu unterhalten, die seit Jahren sagen, dass die Deutung von Geschlecht aufhören muss.
 
Diese Debatte um den dritten Geschlechtseintrag ist eine Katastrophe. Sie zeigt, dass in der Politik nicht das Wohl des Individuums im Mittelpunkt steht, sondern immer noch die Zuteilung zu Kategorien.

Link: Artikel in der Süddeutschen

Hirschfeld zum 150. Geburtstag

Hirschfeld wusste schon in den 10ern und 20ern des letzten Jahrhunderts, dass Menschen körperliche Variationen mitbringen können und der Blick auf die Genitalien oder Klamotten nicht ausreicht, um das Geschlecht eines Menschen zu deuten. Die Nationalsozialisten hatten im Rahmen der Bücherverbrennung auch sein Institut in Berlin zerstört. Der braune Geist hält bis heute weltweit an, werden Frauen mit Transsexualität gerne heute noch als Männer und Männer mit Transsexualität heute noch als Frauen angesehen (oder man bezeichnet sie als "transgeschlechtlich").

Das, was die Nazis wollten, war eine Gesellschaft in der Geschlecht von Aussen - nach Funktion - zugeteilt wird, Menschen nach Normvorstellungen kategorisiert werden und in wertvoll und unwert eingeteilt werden. Dass dies nicht gelingen kann, wusste Hirschfeld, als er die unterschiedlichen Dimensionen von Geschlecht beschrieb und dokumentierte, dass alle Ebenen von Geschlecht zwischen männlich und weiblich ausgebildet sein können und es keine eindimensionale Linie zwischen "Mann" und "Frau" gibt. In Realität kann jedes geschlechtliche Merkmal grundsätzlich auch unabhängig von anderen Merkmalen verschieden ausgeprägt sein.

Die einzig sinnvolle Schlussfolgerung aus dem Wissen Hirschfelds ist es, anzuerkennen, dass nur Menschen selbst Auskunft über ihr Geschlecht geben können und ihnen zuzuhören. Es wäre auch wichtig sich darüber klar zu werden, was das bedeutet: Wenn ein Mensch sich zu seinem Geschlecht äussert, dann ist es eine Äusserung über das eigene Geschlecht. Es meint nicht, sich einer sozialen geschlechtlichen Identität zuzuordnen. Wer den Fehler begeht, aus einem Geschlecht eine "Geschlechtsidentität" (gender identity) zu machen, um die Vorstellung von Geschlecht (sex) unangetastet lassen zu können, der steht eher in der Tradition derer, die das Wissen Hirschfelds in den 30ern vernichten wollten, als in der Tradition der Erkenntnisse über Geschlecht, die wir nun seit über 100 Jahren haben könnten. Warum? Weil so jemand dann (in Kategorien) zuteilen will, wo es doch eigentlich darum geht, die Aussagen von Menschen über ihr eigenes Geschlecht anzuerkennen.

Übrigens ist das einer der Gründe, warum die Aktion Transsexualität und Menschenrecht e.V. sich vor einem guten Jahrzehnt zusammengefunden hatte: Die Deutung von Geschlecht durch Dritte zu beenden und für staatliche Regelungen einzutreten, die Menschen vor Übergriffen durch Geschlechtsdeuterei schützt. Dazu braucht es eine Möglichkeit, dass jeder Mensch selbstbestimmt über den eigenen Geschlechtseintrag bestimmen kann.

Link zu einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung