Kritik am Aktionsplan "Akzeptanz & gleiche Rechte" in Baden-Württemberg

Wir freuen uns ja, das überhaupt etwas passiert in Deutschland. Worüber wir uns nicht freuen ist, dass transsexuelle Menschen erneut von einer Landesregierung falsch dargestellt werden. So enthält der Aktionsplan für "Akzeptanz und gleiche Rechte" für transsexuelle Menschen unschöne Behauptungen. So wird behauptet, transsexuelle Menschen seien bei der Geburt einem "biologischen Geschlecht zugeteilt worden, "fühlten" sich aber als ein anderes. Gegen diese Sicht protestieren wir auf's schärfste.

Als die Aktion Transsexualität und Menschenrecht e.V. 2008 erstmals bei dem Frauenrechtsabkommen CEDAW der Vereinten Nationen die Menschenrechtsverletzungen an transsexuellen Frauen thematisiert hat, kam das UN-Komitte zu dem Schluss, dass es ein Paradoxon darstelle, dass Frauen sich per Gesetz zu Männern erklären müssen, um ihre Geschlechtseinträge korrigieren zu lassen. Seit einigen Jahren ist klar, dass der Hauptmissbrauch transsexueller Menschen damit zusammen hängt, ihnen ein angebliches "biologisches Geschlecht" anzudichten, und zu behaupten, sie fühlten sich einem anderen Gender zugehörig. In mehreren Menschenrechtsberichten haben wir auf diesen Biologismus deutlich hingewiesen und führten aus, dass dies den Versuch darstellt, Geschlecht zu normieren und Körper zu kontrollieren.

Die Landesregierung in Baden-Württemberg hat es leider versäumt, sich mit dieser Körperkontrolle näher zu beschäftigen und nimmt die Kritik von Menschenrechtsverbänden an dieser Sichtweise nicht ernst. Auch die Zielvereinbarungen der Landesregierung entsprechen im Detail nicht dem, wie wir uns eine vielfältige Gesellschaft und einen Abbau von Menschenrechtsverletzungen an transsexuellen Menschen vorstellen.

So heisst es in dem Papier u.a., dass Begutachtungsanleitungen „Geschlechtsangleichende Maßnahmen bei Transsexualität“ weiterentwickelt werden sollen. Menschenrechtsorganisationen wie die Aktion Transsexualität und Menschenrecht e.V. sprechen sich seit Jahren dafür aus, die Begutachtungen abzuschaffen. Auch die in dem Papier genannten "einheitlichen Vorgehensweisen" lehnen wir als Eingriff in die Freiheit der Behandlung ab und möchten an dieser Stelle noch einmal auf die "Stuttgarter Erklärung" verweisen, die das Patientenwohl in den Mittelpunkt der medizinischen Behandlung stellt.

Wir möchten darauf hinweisen, dass wir über diesen Umstand nicht erfreut sind, da mit der Idee, dass es sich z.B. bei transsexuellen Frauen um Männer handele, die "wie Frauen fühlen" um ein psycho-pathologisierendes Konstrukt handelt, das aus Sicht der Psychosexologie mit dem Namen "Gender Dysphorie" oder "Gender Incongruence" fortgeführt werden soll und zur Zeit von diesen Gruppen massiv beworben wird. Die Landesregierung versäumt die Chance sich hier von einer fremdbestimmenden Sichtweise zu lösen, die geschlechtliche Vielfalt einschränken will, anstatt sie umfassend anzuerkennen. Das ist insofern ärgerlich, da die Landesregierung hier die Chance verspielt, einen echten Bewusstseinswandel im Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt zu erwirken und - zumindest im Fall von Transsexualität - an den althergebrachten Klischees festhält, die davon ausgehen, dass transsexuelle Menschen sich anders fühlten, als ihr eigenes Geschlecht.

Damit allerdings wird die Überschrift "Akzeptanz und Vielfalt" auf dem Papier zur Makulatur. Wer weitere Diskriminierungen transsexueller Menschen duldet und diese als Menschen beschreibt, die "biologisch" das eine seien, sich aber wie das andere "fühlten", will auch keine Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt.

Tipp: Das nächste mal hinhören, was Menschenrechtsverbände so zu sagen haben.


Link:

Aktionsplan der Landesregierung


Interview:

Halbe Sachen vom Europarat

Heute hat der Europarat eine Resolution verabschiedet, die auch für die Rechte von transsexuellen Menschen mittel- bis langfristig von Nutzen sein kann. So werden die Staaten Europas aufgefordert schnelle und transparente Verfahren zur rechtlichen Anerkennung einzuführen, die ohne psychiatrische Diagnosen oder medizinische Vorbedingungen auskommen. Dies war das, was auch ATME gefordert hat. Wie immer sehen wir aber auch ein paar Haken an der Sache. Die Resolution geht nämlich nicht weit genug und schubladisiert Menschengruppen.

Seit Gründung setzt sich die Aktion Transsexualität und Menschenrecht dafür ein, dass alle Menschen - ausgehend von den Menschenrechten - gleiche Rechte geniessen. Dazu gehört für uns auch, dass jeder Mensch das Recht haben muss, seine Papiere ändern lassen zu können um vor dem Gesetz als er selbst anerkannt zu sein. Genauso wichtig ist es, dass jeder Mensch das Recht auf umfassende Gesundheit hat.

In der Resolution des Europarates wird aber explizit nicht von allen Menschen gesprochen sondern von "Transgender"-Personen. Leider wurden die nicht gehört, die in dieser Schubladisierung von Recht eine Gefahr sehen: Ähnlich wie bereits das deutsche Transsexuellengesetz deswegen nicht funktioniert hat, weil dort, wo gesetzlich geschlechtliche Abweichungen verankert werden, immer jemand über die geschlechtliche Schublade wachen will und daraus dann automatisch geschlechtliche Fremdbestimmung entsteht, können Regelungen, die nicht alle Menschen betreffen sollen, sondern nur eine wie immer zu definierende geschlechtliche Gruppe, auch in diesem Fall wieder zu Ungleichberechtigung führen.

Genau aus diesem Grund lehnen wir die Idee ab, "Trans*geschlechter" als Spiegel zu Normgeschlechtern zu definieren. Sich über das Gegenteil zu einer bestehenden Geschlechternorm zu definieren sehen wir als Reproduktion geschlechtlicher Normen an. Emanzipation heisst für uns, sich von diesen Normen zu lösen und den Bereich der Gender-Deutung aus medizinischen Behandlungen und rechtlichen Regelungen heraus zu lassen. Wenn in einer Resolution steht, dass "Hormonbehandlung, Operationen und psychotherapeutische Unterstützung für alle Transgender-Personen" verfügbar gemacht werden sollen, dann widerspricht das unserem Verständnis von Gleichberechtigung und Menschenrechten. Wir würden hier formulieren, dass "Hormonbehandlung, Operationen und psychotherapeutische Unterstützung für alle Menschen" zur Verfügung stehen sollen, die diese Behandlung wünschen.

Wir sind zudem sehr skeptisch, wenn wir lesen müssen, dass sogenannte Experten im Gesundheitssystem im Umgang mit "Transgender"-Personen, zu denen dann auch "psychologists, psychiatrists and general practitioners" gezählt werden, besonders im Umgang mit "Transgender"-Personen geschult werden sollen. Auch hier verweisen wir darauf, dass wir uns für eine Behandlung aussprechen, die ohne Gender-Deutung auskommt, anstatt erneut medizinische Schubladen mit der Möglichkeit medizinischer Fremdbestimmung einzuführen.

Es wäre schön, wenn wir den Eindruck hätten, dass alle Menschen, die das hinterher betreffen wird, vom Europarat angehört worden wären. Dies ist nicht der Fall. Insbesondere die Kritik an der Schubladisierungs-Logik, die in Europa durch Lobbygruppen wie TGEU (Transgender Europe) und ILGA vertreten wird, kam hier für unser dafürhalten zu kurz.

Genauso sehen wir den Ansatz emanzipierter transsexueller Menschen, die ihr Geschlecht nicht als Gender-Schublade erachten als nicht in diesem Prozess vertreten. Wenn Menschen gleiche Rechte haben, wie andere Menschen, dann sind beispielsweise Frauen Frauen und keine Transfrauen. Eine Frau, die vor dem Gesetz gleiche Rechte hat, wie eine andere Frau (und da wollen wir ja hinkommen), wird womöglich ausdrücken müssen, was bei ihr anders ist, als bei anderen Frauen. Sie wird beschreiben müssen, was da medizinisch behandelt werden soll. Dies ist dann ihr Körper. Wir nennen das "Transsexualität". Oder umgekehrt: Nur wenn transsexuelle Frauen und Frauen als ungleich definiert sind und die Frauen, welche die körperliche Norm, die auf Gender-Stereotypen basiert, nicht erfüllen, dann als "unbiologisch" angesehen werden bzw. zur Nicht-Frau erklärt werden, macht die Idee von "Transmenschen" Sinn und ist deshalb unemanzipatorisch. Die Ungleichbehandlung von Menschen mit geschlechtlichen Normabweichungen basiert also in dem Versuch der Trennung von dem einen vom "anderen Geschlecht". Feministinnen wie Simone De Beavouir haben da bereits Bücher dazu geschrieben.

Deswegen freuen wir uns auch hier nur halb. Die Gleichberechtigung aller Menschen ist unser Ziel und nicht die Errichtung von Gender-Schubladen und die Re-Etablierung neuer Definitionshoheitsbestrebungen von Medizin, Recht und Gesellschaft durch die Hintertür. Wir sehen es nicht als erstrebenswert an, Menschen in Geschlechterkategorien zu teilen und sich für ungleiche Rechte einzusetzen. Auch positive Diskriminierungen sind aus unserer Sicht nicht mit den Menschenrechten vereinbar.

Der Link zur Resolution:

Discrimination against transgender people in Europe