Die EU vergisst transsexuelle Menschen

Die EU hat ein Papier veröffentlicht, in dem - neben der Forderung Zwangssterilisationen als Bedingung für die rechtliche Anerkennung zu verbieten - die WHO aufgefordert wird, "Störungen der Geschlechtsidentität von der Liste der psychischen Störungen" zu streichen. So schön das einerseits ist, so ärgerlich ist es, dass transsexuelle Menschen von der EU weiterhin als "Transgender-Identitäten" subsumiert werden. Damit ist weiterer geschlechtlicher Fremdbestimmung Tür und Tor geöffnet.

In dem Text heisst es u.a.:

"fordert die Kommission und die WHO auf, Störungen der Geschlechtsidentität von der Liste der psychischen Störungen und Verhaltensstörungen zu streichen; fordert die Kommission auf, ihre Bemühungen zur Beendigung der Pathologisierung von Transgender-Identitäten zu verstärken; fordert die Staaten auf, schnelle, zugängliche und transparente Verfahren zur Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit sicherzustellen, in deren Rahmen das Recht auf Selbstbestimmung respektiert wird;"

Die Aktion Transsexualität und Menschenrecht e.V. kritisiert seit Jahren die Trennung in "biologische" und "unbiologische Geschlechter" und die Ansicht, es würde sich bei Transsexualität um das Gefühl handeln, dem anderen Geschlecht angehören zu wollen. Bezogen auf "Gender", das soziale Geschlecht ist dieser Wunsch zwar vorhanden, macht aber nicht den Kern von Transsexualität aus. Wenn beispielsweise ein Mädchen mit vermännlichten Körpermerkmalen äussert "ich bin ein Mädchen", dann ist es ein Mädchen und nicht etwa ein "biologischer Junge", der gerne Mädchen wäre.

Dies ist deswegen von Relevanz, da davon irrtümlicherweise auszugehen, dass es sich bei Transsexualität primär um ein Gender-Thema handele, anstatt um eine tatsächlich existierende geschlechtliche Variation, zu einer medizinischen Behandlung unter falschem Vorzeichen führt. Transsexuelle Menschen brauchen in erster Linie Hormone oder Operationen nicht etwa deswegen, weil sie eine bestimmte geschlechtliche Rolle (Gender-Role) einnehmen wollen, sondern weil sie um ihre körperliche Abweichung wissen. Transsexualität hat primär mit körperlichen Bedürfnissen zu tun und nicht etwa mit dem Wunsch, stereotype Rollenklischees zu erfüllen.

Wird nun das Verlangen körperlicher Veränderung als Geschlechtsrollen-Thema umgedeutet - eine der Grundlagen für Psychopathologisierung - folgt daraus eine medizinische Behandlung, die Gender-Rollen, also gender-spezifisches Spielzeug, Spielkameraden, etc. oder Kleidung als Überschrift wählt. Diese geschlechtliche Deutung hat unserer Ansicht nach im Umgang mit transsexuellen Menschen nichts zu suchen.

Wenn die EU also nun davon ausgeht, dass transsexuelle Menschen "Transgender-Identitäten" seien und sich für eine "Beendigung der Pathologisierung von Transgender-Identitäten" ausspricht, dann hiesse das zwar, dass transsexuelle Mädchen die sagen "ich bin ein Mädchen" für diese Aussage nicht pathologisiert werden sollen, aber noch lange nicht, dass anerkannt wird, dass es sich um Mädchen handelt. Genauso gut können diese Mädchen weiterhin als "biologische" Jungs, die sich wie Mädchen fühlen angesehen und so behandelt werden - denn eine "Beendigung der Pathologisierung von Transgender-Identitäten" kann hier auch bedeuten, dass Jungs zugestanden wird, dass es nicht schlimm sei "wie ein Mädchen zu fühlen".

Für transsexuelle Menschen ist dies unbefriedigend. Mit der Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt hat der Text der EU nämlich wenig zu tun. Vielmehr geht es hier bei genauerer Betrachtung lediglich um die Anerkennung geschlechtlichen Handelns, also einem Text der Toleranz gegenüber sexuellen Identitäten einfordert, aber noch lange nicht die per se existierende geschlechtliche Vielfalt meint.

Es ist nach wie vor ärgerlich, dass die EU bislang nicht bereit ist LSBTTIQ anzuerkennen und transsexuelle Menschen hier als "Transgender-Identitäten" subsumiert werden sollen.

Wir fragen uns: Was ist eigentlich das Problem? Warum ist das scheinbar doch so schwer?

Link:

Menschenrechte und Demokratie in der Welt und die Politik der Europäischen Union in diesem Bereich
http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+REPORT+A8-2015-0023+0+DOC+XML+V0//DE