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100 Prozent Geschlechterdeutung - Anhörung im Heimatministerium

Im Bundestag wurde gestern - im Zusammenhang mit der sogenannten "dritten Option" - unter anderem über einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag beraten. Eigentlich ein Grund zur Freude. Aber: Sind wir wirklich da, wo wie hin wollten? Wird wirklich davon gesprochen, das Geschlecht von Menschen anzuerkennen? Eine Analyse der Anhörung im Bundestag am 26.11.2018.
 
Als wir uns vor über 10 Jahren zusammenfanden, hatten wir ein Ziel: Anerkannt zu bekommen, dass Menschen mit Transsexualität existieren. Für uns bedeutet das, dass das "biologische Geschlecht" nicht an den Genitalien oder anderen Körpermerkmalen, die in der Regel von Aussen gedeutet werden, festgemacht werden kann. Transsexualität bedeutet für uns zudem, dass Variationen der Körpermerkmale existieren und es vorkommen kann, dass beispielsweise Genitalien (oder andere Körperteile) vom Geschlecht eines Menschen abweichen können.
 
Welches "biologische Geschlecht" ein Mensch hat, weiss ein Mensch selbst. Dieses "biologische Geschlecht" unterscheidet sich vom sozialen Geschlecht, Gender. Die Voraussetzung eine bestimmte "Gender Identität" aufweisen zu müssen, um als der Mensch anerkannt zu werden, der Du bist und davon medizinische Hilfe abhängig zu machen, hielten und halten wir für ein Machtinstrument, um Geschlecht fremdzubestimmen.
 
Ausgehend davon, setzten wir uns (und setzen uns) für eine Abschaffung der Begutachtungspraxis zur Anerkennung des Geschlechtes ein. Dies hatte und hat zum Ziel, biologistische Geschlechterdeutung zu beenden und anzuerkennen, dass das "biologische Geschlecht" nicht mit dieser Deutung verwechselt werden darf.
 
Wir freuen uns sehr darüber, dass mittlerweile die meisten Vereine und sogar Parteien in Deutschland sich mittlerweile für einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag einsetzen, nachdem wir vor knapp über 10 Jahren weitestgehend alleine waren, mit unserer Haltung und andere sich eine Welt ohne Begutachtungen nicht vorstellen konnten. Aber: Worüber wir uns nicht freuen ist, dass immer noch Geschlecht gedeutet wird und alte Biologismen, die bereits zu Sollbruchstellen im TSG geführt hatten, als das TSG noch gar nicht existierte und Politikerinnen über die Einführung berieten (Ende der 1970er Jahre), auch hier wieder einmal Teil der Argumentation sind.
 
Kern dieser Sollbruchstellen ist, das "biologische Geschlecht" eines Menschen mit der Deutung von Geschlecht anhand von Körpermerkmalen zu verwechseln und zugleich zu behaupten, dass die Äusserung von Menschen, die in ihrem eigenen Geschlecht anerkannt werden wollen, einen psycho-sozialen Grund habe. Dieses Denkmuster ist das, was das TSG schon vor seiner Verabschiedung zum Rohrkrepierer gemacht hatte und für massives Leid bei Menschen gesorgt hat. Alle Vorhaben, die auf diesem Denkmuster auch heute basieren, werden ähnliche Folgen haben. Wer meint, es würde reichen, wenn Menschen in ihrer "Geschlechtsidentität" (der sozialen geschlechtlichen Identifizierung) anerkannt werden, anstatt in ihrem Geschlecht, der will die Idee über ein "biologisches Geschlecht" nicht ändern und sich auch nicht vorstellen, dass Körpermerkmale nicht immer dem stereotypen Ideal entsprechen.
 
Anatol Dutta von der Ludwig-Maximilians-Universität München meint, es sei zwingend, dass für einen Geschlechtseintrag "divers" ein Nachweis erbracht werde". Dutta deutet Geschlecht damit anhand von Körperformen: aus Körper wird eine soziale Geschlechtsidentität. Er findet dies in Ordnung. Petra Follmar-Otto vom Deutschen Institut für Menschenrechte sprach von "intergeschlechtlichen Menschen" und zeigt damit, dass sie Körperformen ein gewisses Geschlecht zuschreibt: Das Geschlecht "Intergeschlecht". Die Direktorin der Urologie, Kinderurologie und Urologische Onkologie der Kliniken Essen-Mitte, Susanne Krege, findet auch, dass die Körperbeschau in Ordnung geht und steht Attesten nicht kritisch gegenüber. Anna Katharina Mangold aus Freiburg Freiburg sprach davon, dass es Geschlechter gäbe "die eben nicht nur biologisch, sondern psychosozial definiert seien" und rüttelte damit nicht an der Idee, dass Körperformen, die Menschen deuten, als "biologisches Geschlecht" definiert werden.
 
Die anderen Aussagen sparen wir uns. Sie beinhalten alle dasselbe genitalistische Weltbild.
 
Wir fragen uns: Wie kann daraus so etwas werden, wie die Anerkennung geschlechtlicher Variationen? Wann fangen wir an damit, wirklich anzuerkennen, dass Menschen selbst am besten Wissen, welchem Geschlecht sie angehören? Wann wird damit aufgehört, Geschlecht zu deuten?
 
Vielleicht noch einmal der Hinweis: Transsexualität existiert. Redet endlich mit uns. Das ist bis heute nicht geschehen.
 
https://www.bundestag.de/presse/hib/-/580562
 
 
 

Wenn so getan wird, als sei Transsexualität keine psychische Störung mehr

Es kommt immer wieder vor, dass Vereine und Einzelpersonen behaupten, die WHO würde Transsexualität nicht mehr als psychische Störung ansehen. Das ist  nicht ganz richtig. Transsexualität wird ja gerne dem Bereich der vom biologischen Geschlecht abweichenden "Geschlechtsidentitäten" (trans*) zugeordnet. Und genau diese Idee wird weiterhin im ICD verfolgt: Es geht bei der medizinischen Behandlung um Fremdbestimmung und Geschlechtermacht.

Dazu ein Beispiel:

Das Netzwerk LSBTTIQ beispielsweise hat im November 2018 eine Mail versendet, in der folgendes geschrieben steht:

"Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellte im Juni 2018 endlich fest, dass Transsexualität keine psychische Störung ist."

Diese Information ist falsch. Die WHO hat Kosmetik betrieben und im ICD ein neues Kapitel eingeführt - ein Wunschkapitel der Sexologie. Dieses heisst.

"Conditions related to sexual health"

In diesem Kapitel geht es um sexuelle Disfunktionen wie Asexualität, fehlende Orgasmusfähigkeit, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Pädophilie, Exhibitionismus, Sadismus, Intersexualität und um etwas, das sich dann "Gender Inkongruenz" nennt. Und unter "Gender Inkongruenz" wird dann das Gefühl verstanden, sich nicht wie sein biologisches Geburtsgeschlecht zu fühlen und davon abweichende Verhaltensweisen zu zeigen. Also das, was dann ausserhalb des ICD "trans*" genannt wird.

Was ist daran das Problem?

1. Wenn Menschen wissen, wer sie geschlechtlich sind, dann gestehen sie sich ihr Geburtsgeschlecht ein und nicht etwa das Gefühl, sich anders zu fühlen als ihr Geburtsgeschlecht. Die Paradoxie, Menschen zu unterstellen, es ginge ihnen um Identität und nicht um ihr Geschlecht geht also weiter. Menschen mit Transsexualität werden weiterhin wegdefiniert, obwohl diese existieren.

Zur Erinnerung: Menschen mit Transsexualität sind Menschen, die wissen, dass ihr Körper von ihrem Geschlecht abweicht.

2. Das extra Kapitel "sexuelle Gesundheit" macht es der Sexologie einfacher, die Rolle als Experten zu steigern. Das hat auch Auswirkungen auf die Definitionshoheit dieser Szene.

Es wird darum gehen, in den nächsten Jahren Alternativen zu dieser Weltanschauung zu entwickeln. Wir haben mit der Stuttgarter Erklärung bereits etwas formuliert und haben uns vorgenommen, einen alternativen Leitfaden zur Behandlung transsexueller Menschen zu entwickeln. Damit dürfte ja auch niemand ein Problem haben, da transsexuelle Menschen im ICD nicht vorgesehen sehen sind (sondern eben ab der 11. Version Menschen mit "Gender Inkongruenz". Mit Transsexualität hat das nichts zu tun).

Die Herausforderung wird sein, dann NEIN zu sagen, wenn Vereine, Gruppen und Einzelpersonen meinen, "trans*" bedeute auch Transsexualität und das dann in Verbindung mit der medizinischen Behandlung bringen. Auf diese Vereinnahmung und gleichzeitige Unsichtbarmachung von Anliegen, werden wir immer wieder hinweisen.

Insofern: Es gibt viel zu tun.