EU für ein argentinisches Gesetz in Europa

Seit dem 9. Mai 2012 gibt es in Argentinien ein Gesetz, das es transsexuellen Menschen - und auch allen anderen - erlaubt, ihren Geschlechtseintrag einfach und unkompliziert ändern zu lassen. Man muss dazu lediglich einen Antrag schreiben und mit seinem Ausweis "beim Nationalen Personenstandsregister oder den entsprechenden untergeordneten Ämtern mit dem Verweis auf dieses Gesetz" vorbeigehen und kann den Namen und den Personenstand ändern lassen. Einfach so. "In keinem Fall wird der Nachweis einer genitalen Operation oder irgend eines chirurgischen Eingriffes oder einer hormonellen Therapie oder anderen psychologischen oder medizinischen Behandlungen gefordert."

Auch der Fall Alex, der noch vor knapp einem Jahr durch die Presse ging, wäre mit diesem Gesetz nicht möglich gewesen, weil es auch Kindern Rechte zugesteht, wenn die Erziehungsberechtigten dem Namenswechsel oder den medizinischen Leistungen nicht zustimmen: "so besteht die Möglichkeit den Rechtsweg zu beschreiten, damit die entsprechenden Richter/innen unter Berücksichtigung [...] des Auffassungsvermögens und des Interesses des Kindes und im Einklang mit den Bestimmungen des Übereinkommens über die Rechte des Kindes und dem Gesetz 26.061 über den umfassenden Schutz der Rechte von Kindern und Jugendlichen darüber entscheiden." Dafür steht dem Kind ein Rechtsanwalt zu.

Nun hat das Europäische Parlament in seiner Resolution 2011/2069(INI) (siehe unten) unter Punkt 98 auch die Aufforderung beschlossen: "rechtliche Verfahren zur Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit auf der Grundlage des argentinischen Modells einzuführen oder zu überarbeiten und die Voraussetzungen [...] für die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit zu überprüfen."

Dies wäre ein großer Schritt in der Anerkennung transsexueller Menschen im Besonderen und der geschlechtlichen Vielfalt im Allgemeinen. Daher fordern wir seit 2008:
"1. TSG-Gutachterverfahren weg
Anhand unwissenschaftlicher, subjektiver Kriterien über die rechtliche Existenz eines Menschen zu entscheiden ist ein Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht. Daher plädieren wir für eine Abschaffung des TSG-Gutachterverfahrens und sind für ein Antragsverfahren, bei dem jeder Mensch zum Zeitpunkt seiner Wahl selbstbestimmt über seinen Geschlechtseintrag entscheiden kann.
2. Anerkennung des Geschlechts ab Outing
Wir fordern eine Respektierung der Würde des Menschen - und damit die Respektierung der geschlechtlichen Identität eines jeden Menschen während und nach den medizinischen und rechtlichen Verfahren. Wir setzen uns für ein echte und vollständige Anerkennung der geschlechtlichen Identität als Teil der Menschenwürde von Anfang an ein.
4. Recht auf notwendige Medizin
Transsexuelle Menschen müssen ein Recht auf sämtliche medizinische Leistungen haben, die nötig sind, ihnen ein Leben in Würde zu ermöglichen."
So steht es in den Forderungen von ATME.

Im argentinischen Gesetz heißt es dazu:
"Die von Menschen, insbesondere die von Kindern und Jugendlichen, angenommene Geschlechtsidentität muss respektiert werden, insbesondere dann, wenn diese einen anderen als den in ihrem Personalausweis angegebenen Vornamen benutzen.  
Allein auf ihr Bitten hin ist ihr angenommener Vorname bei Ladungen, Eintragungen, Akten, Anrufen und jedem anderen Vorgang oder Dienstleistung sowohl im öffentlichen wie im privaten Bereich zu verwenden. [...]  In Fällen, in denen die Person in der Öffentlichkeit erwähnt wird, ist nur der ausgewählte Vorname zu verwenden, um auf diese Weise die angenommene Geschlechtsidentität zu respektieren."
Und an anderer Stelle ist zu lesen:
"Alle in diesem Artikel vorgesehenen Gesundheitsleistungen bleiben im Plan Médico Obligatorio (Pflichtkrankenversicherung) oder dessen jeweiligem Ersatz entsprechend den Festlegungen der Ausführungsbehörde enthalten."

Die Aufforderung des Europäischen Parlaments, bestehende Gesetze, wie das Transsexuellengesetz, nach dem argentinischen Modell zu überarbeiten, kommt zu einer guten Zeit: Vor der anstehenden Bundestagswahl. Wenn im neuen Jahr der Wahlkampf richtig entbrennt, können auch wir klar machen, wen wir wählen würden: Nur eine europäische Partei, die Beschlüsse des Europäischen Parlaments als wichtig erachtet und diese auch umsetzt - am besten mit der Beteiligung der betroffenen Menschen. "Nichts für uns, ohne uns!"


Links:
+ das argentinische Gesetz (Übersetzung ATME)
+ Die Forderungen von ATME
+ Die Resolution des Europäischen Parlaments