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Christine Westerhaus, Alexander Korte und die fehlende Emanzipation

Christine Westerhaus hat für den Deutschlandfunk eine De-Transitions-Story gemacht. Sie stellt die Frage, ob Menschen, die sich als "trans" sehen, wirklich trans seien. Die Frage ist falsch gestellt. Viel eher sollte gefragt werden, was der Unterschied zwischen "trans" und Transsexualität ist. Aber dazu müsste erst einmal Transsexualität als existent anerkannt werden. Die Anerkennung von körperlichen Variationen wie Transsexualität würde aber Emanzipation bedeuten.

"Ich bin trans. Sicher?" lautet die Überschrift des Werks. Und danach leitet Frau Westerhaus mit dem Satz ein "Die Akzeptanz von Menschen mit einer Transidentität wächst und mit ihr die Zahl derer, die ihr Geschlecht angleichen." Damit beginnt das Framing. Soll heissen: Hier geht es nicht um Transsexualität, sondern um eine Frage der Identität.

Gleich danach schreibt sie "In jüngster Zeit hört man aber auch von trans*Menschen, die ihre Entscheidung bereuen". Die Frage wäre, was sie darunter versteht. Was ist ein "trans*Mensch" aus Sicht von Christine Westerhaus? Versuchen wir es einmal, herauszubekommen.

Textbausteine, die uns das verraten können sind die folgenden (es sind Worte von Christine Westerhaus):

  • Noch bis vor gut einem Jahr war Johanna Caspar
  • Johanna Berling gehört zu einer wachsenden Zahl von Jugendlichen, die ihr Geschlecht wechseln wollen
  • Und immer mehr Menschen machen davon Gebrauch, sagt Alexander Korte, leitender Oberarzt an der Münchner Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie
  • "biologisch männliche Personen, die gegengeschlechtlich identifiziert waren" (Zitat des Psychiaters Aleander Korte)
  • Zahl junger Frauen, die ihr Geschlecht wechseln wollen
  • Folgen eines Geschlechterwechsels
  • Aleksa nimmt Hormone, lässt sich mit 20 den Penis entfernen
  • gegengeschlechtliche Hormonbehandlung
  • Preis für eine Geschlechtsumwandlung
  • Viele Jahre haben Transgender-Organisationen für Anerkennung gekämpft

Hier mal der Versuch, das zu verstehen, was Christine Westerhaus für ein Weltbild hat.

Sie macht Geschlecht an Namen und äusseren Körpermerkmalen fest. Sie denkt, dass Psychiater die Experten auf dem Gebiet sind. Sie glaubt, es geht darum, dass Menschen sich anders als ihr biologisches Geschlecht identifizieren. Das biologische Geschlecht macht sie an Genitalien fest. Und weil sie das alles glaubt, deswegen spricht sie mit Menschen, die ihr Weltbild der vom biolgischen Geschlecht abweichenden Identität stützen.

Was Christine Westerhaus nicht macht: Sie macht sie keine Gedanken über das, was Alexander Korte "biologisches Geschlecht" nennt. Hier würde die Auseinandersetzung beginnen. Vor ein paar Jahren haben wir an dieser Stelle gerne einen Vergleich gezogen. Und der ging so:

Wenn jemand sich als homosexuell outet, dann kann davon ausgegangen werden, dass dieser Menschen nicht heterosexuell auf die Welt gekommen ist. Das müssten die meisten Menschen eigentlich mittlerweile begriffen haben, dass Menschen, die sich als schwul oder lesbisch outen das nicht deswegen tun, da sie entgegen ihrer Biologie dann eine anderweitige Identität entwickelt haben, sondern weil sie - einfach gesagt - "ja" zu sich sagen. Und dieses "ja" ist dann nichts anti-biologisches, sondern Teil der Vielfalt unseres Planeten.

Dieser Gedanke könnte helfen, zu verstehen, was ein Coming Out eines transsexuellen Menschen ist. Ein Mensch mit Transsexualität weiss, dass der Körper nicht seinem eigenen Geschlecht entspricht. Und bei einem Coming Out sagt ein Mensch mit Transsexualität dann "ja" zu sich. Im Gegensatz zu Homosexualität ist das der Moment, indem ein transsexueller Mensch ärztliche Hilfe aufsucht.

Leider haben Menschen mit Transsexualität immer noch mit Scharlatanen wie Alexander Korte zu tun (er ist da nicht der einzige), die der Ansicht sind, Menschen mit Transsexualität eine vom Geschlecht abweichende Identität unterstellen zu müssen. Wenn er anerkennen würde, dass ein Coming Out ein Prozess der Emanzipation darstellt (das "ja" sagen zu sich selbst), dann wüsste er auch, dass beispielsweise eine Frau mit Transsexualität keine "biologisch männliche Person" ist, die sich "gegengeschlechtlich identifiziert". Mit der Vermischung von Transsexualität und dieser "gegengeschlechtlichen Identifizierung" beginnt die Scharlatanerie.

Warum ist das so? Die Vorstellung einer "gegengeschlechtlichen Identität" bzw. einer Geschlechtsidentität an sich, basiert auf dem Gedanken, dass Menschen sich sozialen Geschlechtern zuordnen. Soziale Geschlechter sind gekennzeichnet durch Geschlechternormen. Dazu gehören Übereinkünfte wie Kleidung, Verhaltensweisen, Vorlieben, etc. Diese Übereinkünfte werden immer wieder in Gesellschaften neu verhandelt. Wer warum Röcke trägt, hat sich beispielsweise über die Generationen immer wieder geändert. Ein Wort für das soziale Geschlecht ist "Gender". Deswegen heisst "Geschlechtsidentität" auf englisch "Gender Identity".

Aus einer "Gender Identity", also den Identifizierung mit kulturellen sozialen Übereinkünften abzuleiten, ob ein Mensch nun homosexuell oder transsexuell ist, ist Quacksalberei. Jeder Mensch identifiziert sich nämlich auf gant unterschiedliche Weise mit bestimmten gesellschaftlichen Übereinkünften. In autoritären Gesellschaften, in denen die Identitäten stark reglementiert sind, also beispielsweise Frauen und Männer ganz klar bestimmte Vehaltensweisen zeigen sollen, kann möglicherweise noch angenommen werden, dass das Konzept der "Gender Identity" Sinn ergibt. In Gesellschaften, in denen Diversität angenommen wird, ergibt dies keinen Sinn mehr. Das Konzept der "Gender Identity" führt dann zu einem Zirkelschluss, starke, homogene Gruppenidentitäten konstruieren zu müssen, um diese zugleich ablehnen zu können. Menschen, die Identitäten konstruieren aber sie zugleich überwinden wollen, haben - das ist unsere Erfahrung - eher mit ihrer eigenen Identität, also mit der Frage "wer bin ich eigentlich?", zu tun, als Menschen, die ein weniger grosses Bedürfnis haben, in stereotypen Identitätskategorien denken zu müssen.

Im Zusammenhang mit der Behandlung von und Beschäftigung mit Transsexualität führt das regelmässig dann zu Problemen, wenn Menschen mit Identitätsproblemen versuchen, sich dem Thema zu nähern. Auch Menschen in Medien oder in Psychiatrien arbeiten sich häufig an ihren eigenen Lebensthemen ab. Ist es ein geschlechtliches Thema, dann eignet sich Transsexualität als wundersame Projektionsmöglichkeit.

Zurück zum Deutschlandfunk und zu Christine Westerhaus.

Christine Westerhaus berichtet genausowenig über Transsexualität, wie Alexander Korte Menschen auf Grund von Transsexualität behandelt. Christine Westwerhaus geht es um Gender und Geschlechtswechselphantasien. Alexander Korte geht es um Identität. Mit Transsexualität hat das nichts zu tun.

Transsexualität kann nur dann begriffen werden, wenn die Frage der Identität für Menschen keine Rolle mehr spielt. Das ist dann der Fall, wenn geschlechtliche Zuordnungen - also gesellschaftliche Übereinkünfte - überwunden werden und Menschen sich davon emanzipiert haben. Bei Menschen mit Transsexualität bleibt nach diesem Emanzipationsprozess immer noch etwas übrig: Der Körper passt nicht. Er passt nicht etwa deswegen nicht, weil er nicht zu einer Rolle passen würde, sondern das Wissen über den Körper ist geschlechtsidentitäts-unabhängig. Frauen mit transsexuellem Körper müssen nicht wie Barbie durch die Gegend laufen und wollen das - im Gegensatz zu Menschen mit Identitätsthema - in der Regel auch nicht.

Um Transsexualität anzuerkennen, braucht es eine emanzipierte Gesellschaft. Denn nur wer emanzipiert ist und - unabhängig von den jeweils herrschenden Vorstellung über das soziale Geschlecht - "ja" zu sich selbst sagen kann, wird auch anerkennen können, dass körperliche Merkmale nicht immer dem sozialen Geschlecht entsprechen müssen. Körperliche Merkmale können davon abweichen. Und das nennt sich dann "Transsexualität".

Link: Ich bin trans. Sicher? (Deutschlandfunk)