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Ein Kommentar zur Wahl von Julia Ehrt zum "Executive Director der ILGA World"

Angesichts der Wahl von Julia Ehrt zum "Executive Director der ILGA World" hier ein Kommentar von Kim Schicklang.

Was haben wir vor ein paar Jahren immer wieder gehört, wie wichtig es doch ist, als "Community" mit einer einzigen Stimme zu sprechen. Die andere Seite dieser Vereinheitlichung ist: Wer mit dieser Einstimmigkeit nicht einverstanden ist, der existiert nicht mehr. Und das bringt mich dazu zu sagen: Identitätspolitik ist der Baustein einer totalitären Weltordnung. Identitätspolitik ist ein Baustein von Diktatur und Fremdbestimmung.

Alle Totalitarismen in Gesellschaften fangen mit Identitätspolitik an. Weil davon ausgegangen wird, dass eine x-beliebige Gruppe nach einheitlichen Merkmalen beschrieben werden kann, Menschen diesen Merkmalen zugeordnet werden können, diese Einsortierten dann bestimmte Vertreter benötigten und diese Vertreter dann die Macht verliehen bekommen - meistens ohne diejenigen einzubeziehen, die dann vertreten werden sollen - zu definieren, wie sich die Einsortierten zu verhalten haben und wie sie beschaffen sind.

Schon von Jahren war mir klar: Das hat mit Demokratie nichts zu tun. Im Gegenteil: Durch Identitätspolitik werden demokratische Prozesse verhindert, Hierarchien aufgebaut, in der die Einen sich selbst nach oben putschen, um über Gruppen zu herrschen, die sie selbst erfunden haben. Wer dann das Pech hat, eine andere Weltsicht auf die Dinge zu haben und plötzlich damit konfrontiert wird, dass jemand Dich definiert, den Du nie gewählt hast, der nicht anerkennen kann, dass es auch andere Perspektiven zu bestimmten Inhalten gibt, der Diskurse nicht zulässt, etc. der muss sich zwangsläufig die Frage stellen: Ist das nicht genau die Fremdbestimmung, die wir alle hinter uns lassen wollten? Oder ging es darum gar nicht?

Ich sehe die Welt nicht wie Julia Ehrt. Sie vertritt nicht meine Anliegen. Sie hat eine Sicht auf Geschlecht, die nicht meine ist. Sie wurde von mir weder gewählt, noch unterstützt. Und genau das darf so sein. Zumindest in einer Welt, die nicht totalitär organisiert ist, sondern in der Menschen sich darüber verständigt haben, inhaltlich anderer Meinung sein zu können. Das nennt man in der Regel Demokratie.

Für mich ist "Geschlecht" nicht dasselbe wie "Identität". Wenn ein Mensch sein Geschlecht kennt, dann kennt ein Mensch sein Geschlecht. Davon auszugehen, dass es sich bei Transsexualität um eine "Geschlechtsidentität" handelt, die vom Geburtsgeschelcht oder gar körperlich-biologischen Merkmalen abweicht, ist nicht meine Sicht auf die Dinge. Im Gegenteil: Wer sagt, es ginge ihm um "Geschlechtsidentität", der will die Welt in Geschlechts-Identitäten einteilen. Und wer solche Einteilungen vornimmt, macht das, um zu herrschen. Teile und herrsche. Der Satz ist altbekannt.

Es ist kein Zufall, dass die Identitätspolitik ausgerechnet zu einem Zeitpunkt Oberhand gewonnen hat, als demokratische Grundsätze abgeschafft worden sind. Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit, die Freiheit der Rede, die Freiheit einen anderen Standpunkt vertreten zu dürfen, wurde von Identitären beiseitegewischt. Nicht nur im Zusammenhang mit Geschlecht. Aber eben auch da.

Meine Vorstellung von geschlechtlicher Emanzipation deckt sich nicht mit den Zielen totalitärer Identitaristen. Geschlechtliche Anerkennung fängt nicht damit an, dass irgendwer beschliesst, dass ein Mensch auf Grund irgendwelcher Merkmale den Schubladen "trans*", "inter*", "Frau", "Mann", "divers" oder sonstwie zugeordnet wird. Transsexualität ist keine Identität. Ich verstehe unter Transsexualität eine einzige Sache: Wenn Menschen wissen, dass ihre geschlechtlichen Merkmale nicht ihrem Geschlecht entsprechen. Das hat mit Identität nichts zu tun. Wer das nicht anerkennen kann, will es nicht anerkennen. Wer meint, Aussagen von Menschen über sich selbst, als Ausdruck von Identität ansehen zu müssen, hört nicht zu. Aber wie ich schon weiter oben geschrieben habe: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es darum auch gar nicht geht. Wer Identität konstruiert, will herrschen. Und zwar über die Menschen, denen er eine Identität zuordnet.

Menschen, die Identität konstruieren, um über andere Menschen zu herrschen, teilen nicht meine Weltsicht. Wenn wir an etwas arbeiten sollten, dann ist es folgendes: Wir sollten den Identitarismus überwinden. Wir brauchen nicht mehr Totalitarismus, sondern weniger. Eine einfältige Vielfalt gibt es nämlich nicht. Ich denke: Wir brauchen weniger Anführer und mehr Selbstbewusstsein.