An die Toren in der Liederhalle am Samstag zu Stuttgart
Ein Gastkommentar von Dr. Magnus Hirschfeld.
Auf dem Gebiete sexueller Aufklärung erweisen sich (wie im Leben überhaupt) beide Extreme als gleich schädlich, das Schweigen und das Übertreiben, das Zuwenig und Zuviel. Zum Ziel harmonischer Sexual- und Lebensgestaltung führt nur ein gerader Weg:
d i e v o l l e, r e i n e W a h r h e i t.
Für Kinder aber, die im letzten Grunde alle fragend und sorgend in ihre Zukunft schauen, gilt ebenso wie für Erwachsene das Wort des großen Philosophen Nietzsche:
‚Eine Sache, die sich aufklärt, hört auf, uns etwas anzugehen.‘
Der Titel eines Buches (von Leonhard Frank), das bei vielen in Deutschland während des Krieges tiefen Eindruck machte, lautete: Der Mensch ist gut. Ich möchte, nachdem es mir ein Menschenleben hindurch vergönnt war, so tief wie nur selten ein Sterblicher in das geheimste Fühlen, Denken und Wollen der Menschen zu schauen, diesen Satz erweitern und sagen:
Der Mensch ist gut, aber dumm.
Handelt er schlecht, so können vier Gründe ihn leiten: Krankheit, Bosheit, Trägheit, Torheit. Von diesen übertrifft Torheit alle anderen an Verbreitung und Bedeutung. Daher tut Wissen mehr als alles andere den Menschen not.
ps: Ausführlicher dargelegt in: Magnus Hirschfeld, Geschlechtskunde Band 1, S. 145, Stuttgart : Julius Püttmann, 1926.