Fake-Vielfalt, ein Kommentar
Ein Kommentar von Kim Schicklang
Liebe Gender-Lesben und Gender-Schwule,
es ist ja schön, dass Gender-Identität für Euch ein wichtiges Thema ist und ihr es als befreiend anseht, wenn Frauen auch in männlichen Rollen wahrgenommen werden, nur möchten wir Euch darauf hinweisen, dass die Umdeutung von einem körperlichen Thema, nämlich Transsexualität, in ein Gender-Thema, das ihr dann „Transidentität“ nennt, ziemlich nervt.
Einer Frau zu sagen, sie sei ein Mann, womöglich ein „biologischer Mann“ der „sich als Frau empfindet“ ist das allerletze.
Welche sexistische Weltanschauung muss mensch haben, wenn ihr meint, Frauen, die nicht den körperlichen Normen entsprechen, als „Mann“ bezeichenen zu können, die eine „Transidentität“ entwickelt haben? Welch normierendes und körperfaschistisches Weltbild hat jemand, der aus Körpern ableitet, ob ein Mensch das Prädikat „bio“ bzw „cis“ oder dann doch eher „inter*“ oder „trans*“ erhält? Und warum ist das so, dass ausgerechnet ihr, die ihr Geschlecht am Körper festmacht und sogar daraus noch unterschiedliche gesellschaftliche Wertigkeiten ableitet – nichts anderes ist es nämlich, wenn Menschen gesagt wird, sie seien nicht das, von dem sie wissen, dass sie es sind – dann häufig genug in Gleichstellungsreferaten der Republik arbeitet und dann irgendwelche Veranstaltungen durchführt, in denen „Transsexualität“ den Menschen dann als eine Form der „Transidentität“ verkauft werden soll?
Was ist das? Welche Idee steckt dahinter?
Ich habe vor einigen Jahren einmal einen Dokumentarfilm aus den USA gesehen, in der ein Mädchen vorgestellt wurde, die auf Grund des Körpers einen männlichen Geschlechtseintrag mitbekommen hatte. Die Reporterin fragte das Mädchen: „Wenn jemand Dich fragen würde was Du bist, ein Junge oder ein Mädchen? Was würdest Du antworten?“. Das Kind antwortete „Ich bin ein Mädchen.“ Als dann der Sprechertext der Dokumentation weiter ging, wusste ich, wie perfide das ist, wenn diese Aussage einfach übergangen wird, hiess es darauf hin doch „Dieser Junge fühlt sich schon seit er denken kann, wie ein Mädchen“.
Bis heute bin ich nicht schlau daraus geworden, warum manche Menschen aus dem Satz „ich bin ein Mädchen“ dann „ein Junge, der sich wie ein Mädchen fühlt“ machen. Die einzige Erklärung, die ich dafür habe ist, dass dieses „fühlen wie“ bei dem, der sich so taub stellt, selbst so ein starkes Lebensthema sein muss, dass damit die eigene Wahrnehmung überlagert wird.
Neulich sagte mir ein schwuler Mann, der vor nicht allzulanger Zeit einen transsexuellenfeindlichen Artikel über ein transsexuelles Mädchen geschrieben hat, dass die Mehrzahl schwuler Jungs sich als Kind fragen würden, ob sie nicht ein Mädchen seien, dann aber später darüber Klarheit hätten, sowohl Mann, als auch schwul zu sein. Das Schwulsein und Lesbisch sein wäre dann verknüpft mit dem Prozess des gesunden Selbstbewusstwerdens eines Menschen. Wir sind uns hoffentlich einig, dass dieser Prozess etwas sehr grossartiges ist. Wenn Menschen zu sich selbst finden und sich akzeptieren können, als das, was sie sind, ist das nicht nur ehrlich, sondern ganz, ganz stark.
Was ich aber nicht verstehe ist folgendes: Wenn ihr, liebe Gender-Schwule und Gender-Lesben, doch wisst, wie toll das ist, sich selbst gefunden zu haben… warum gesteht ihr denn dann transsexuellen Menschen nicht dasselbe zu? Warum ist für Euch eine transsexuelle Frau keine Frau mit vermännlichtem Körper, also transsexuell oder ein transsexueller Mann ein Mann? Warum denkt ihr, dass eine Frau, dann, wenn der Körper von der Normvorstellung abweicht, keine Frau mehr ist, sondern ein Mann, der sich „wie eine Frau empfindet“? Und warum ist für Euch ein Mann, dessen Körper nicht männlich genug erscheint, eine Frau, die „als Mann lebt“? Warum macht ihr aus einem Körper-Thema ein Gender-Identitäts-Thema?
Und warum ist es denn so schwer, einfach anzuerkennen, dass transsexuelle Menschen wirklich existieren? Warum ist es so schwer, von LSBTTIQ zu sprechen und anzuerkennen, dass sowohl Identität, als auch der Körper variabel sein kann? Richtig denkt ihr, wenn es um den Körper geht, dann heisst das doch neuerdings „inter*“… nur: Schon gemerkt, dass es einen Unterschied macht, ob jemand in der Draufsicht sagt, dass ein Mensch körperlich uneindeutig ist oder ob ein Mensch selbst weiss, dass sein Körper von seinem eigenen Geschlecht abweicht?
Die Umdeutung von „Transsexualität“ zu „Transidentität“ raubt transsexuellen Menschen die geschlechtliche Integrität. Sie macht aus Menschen, die ein Wissen über ihr Geschlecht haben, Menschen, die sich anders fühlten, als ihre vermeintliche „Biologie“. Sie erzeugt Ungleichheit, anstatt Akzeptanz.
Vielleicht fragt ihr Euch, warum ich von Gender-Lesben und Gender-Schwulen gesprochen habe. Das hat einen einfachen Grund: Mich erschreckt sehr, wenn ich sehe, wie häufig wir gerade von denen, die Pöstchen in Städten, Gemeinden, Land und Bund innehaben, die ja dafür geschaffen worden sein sollen, Ungleichbehandlung in Sachen Gender abzubauen, Ungleichbehandlung reproduziert wird, indem Menschen bewusst unsichtbar gehalten werden.
Hier ein paar Beispiele:
„Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass es auch unter Trans*-Organisationen unterschiedliche Auffassungen bezüglich der zu verwenden Begrifflichkeiten bzw. der jeweiligen inhaltlichen Implikationen der gewählten Begriffe gibt. [...] Auf unserem Fachtag sollen Lehrer_innen, Sozialpädagog_innen und andere Interessierte die Möglichkeit bekommen, sich mit der Lebenswirklichkeit von transidenten (das ist der Begriff unserer Wahl) Kindern und Jugendlichen auseinanderzusetzen – möglicherweise zum ersten Mal überhaupt.“
(Susanne Hildebrandt, Vorstandsmitglied der Wirtschaftsweiber, Amt für Angelegenheiten des Oberbürgermeisters und des Rates Koordinierungsstelle für Lesben, Schwule und Transidente der Stadt Dortmund)
„Die von Ihnen angesprochenen Abgrenzungsprobleme in der Selbstdefinition sind uns bekannt. Leider sind sie geeignet, ein wirkungsvolles Auftreten gegenüber Politik und Gesellschaft zu verhindern. Da alle Transidenten, d.h. auch Transsexuelle und Transgender um Respekt und Anerkennung kämpfen, ist es nachvollziehbar, dass sich einige in einer politischen Bewegung unter einem Dach zusammenfinden und sich mit anderen Gruppen zusammenschließen wollen, um gemeinsam für eine selbstbestimmte sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität zu kämpfen.“
(Eva-Marie Frings, Referat LSBTI* NRW)
„Das UKE verfügt im Bereich der Einordnung von transidenten Menschen über besondere Expertise und wirkt in den Fachgremien mit, die sich mit der Einordnung von transgeschlechtlichen Personen durch die WHO in der ICD 10 unter der Kategorie F64 „Störung der Geschlechtsidentität“ und mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen wie Stigmatisierung oder geltende bundesrechtliche Vorgaben befassen. Die Fachleute im UKE befürworten eine Änderung der Einordnung in einer neu zu schaffenden Kategorie „Geschlechterinkongruenz“. […] An dieser Stelle wird deutlich, dass bei der Einordnung von und beim Umgang mit Geschlechtsidentitäten ein Prozess hin zur Entpathologisierung und Entstigmatisierung mit dem Ziel der Verbesserung der Lebenssituation auch von transsexuellen Menschen in Gang gekommen ist.“
(Ute Sachau-Böhmert, Stabsstelle Gleichstellung und geschlechtliche Vielfalt, Freie und Hansestadt Hamburg)
"AW: WG: Anfrage Transsexualität . ist beantwortet."
(Lela Lähnemann, Fachbereich LSBTI, Berlin)
Es ist interessant, wie hier Menschen, die offenbar selbst ein geschlechtliches Thema haben, einfach davon ausgehen, dass es bei Transsexualität um eine Frage der Gender-Identifizierung geht. Schlimm daran ist, dass die meisten Menschen, die transsexuell sind, spätestens mit ihrem Coming-Out eine völlige Klarheit über ihre Geschlechtszugehörigkeit haben, aber wissen, dass ihre körperlichen Merkmale von ihrem Geschlecht abweichen.
Das könnte mensch doch einfach mal anerkennen, oder?
Nun passiert genau das Gegenteil: Aus Körpern wird dann eine Identität gemacht. Das ärgerliche daran ist, dass geschlechtliche Vielfalt ja gerade nicht bedeutet, die geschlechtliche Welt nur aus seiner Sicht zu interpretieren, sondern Vielfalt heisst, Menschen zuzugestehen, dass sie ein gesundes und authentisches Wissen über ihr eigenes Geschlecht besitzen. Oder noch einfacher: Vielfalt anzuerkennen heisst, die Aussage, die ein Mensch über sein Geschlecht trifft, als wahr zu begreifen. Wer Vielfalt einschränkt, indem er nur eine geschlechtliche Weltsicht zulässt, und nicht bereit ist, andere geschlechtliche Selbstsichten als genauso wahrhaftig zu begreifen, wie alle anderen Selbstsichten, der tritt nicht für Vielfalt ein, sondern will geschlechtliche Kontrolle.
Ich bin sehr entsetzt darüber, welche Texte wir ernsthaft von Gender-Referaten erhalten hatten und finde auch beim mehrfachen lesen nichts weniger dreist an diesen Nicht-Antworten, die entweder völliges Unverständnis über Transsexualität offenbaren, oder einfach nur zeigen, wie hier bewusst Menschen das geschlechtliche Selbstverständnis geraubt wird.
Wenn ein Mensch sagt: „Ich bin eine Frau“, dann ist dieser Mensch eine Frau. Das Lebensthema dieses Menschen ist dann ein körperliches, wenn diese Frau sagt, dass sie vermännlichte Körpermerkmale mitbringt. Nur wer die Selbstaussage umdeutet und „ich bin ein Mann“ hören will, obwohl sich eine Frau zu ihrem Geschlecht geäussert hat, wird überhaupt erst auf die Idee kommen, ein körperliches Thema zu einem Identitätsthema umzudeuten.
Es wird Zeit, dass sich das ändert. Darum: Wer LSBTTIQ nicht anerkennen kann, braucht Worte wie „Vielfalt“ und „Community“ gar nicht erst in den Mund zu nehmen. Und ja, so jemand missbraucht nicht nur transsexuelle Menschen, sondern auch das öffentliche Amt, das er bekleidet. Und zu Gender-Gerechtigkeit passt das dann auch nicht. Wenn eine Frau auf Grund ihres Körpers gender-gedeutet wird und zu einem Mann umdefiniert wird, dann hat das wenig mit Gender-Gerechtigkeit zu tun.
Stimmt, vielleicht hätte ich in der Anredezeile anstatt „Liebe Gender-Lesben und Gender-Schwule“ auch nur einfach „Liebe Sexist*innen“ schreiben sollen.
Kim Anja Schicklang