Bundestagswahl 2013: Nicht für transsexuelle Menschen

In einer Durchsicht der Wahlprogramme der etablierten Parteien und der Piraten sind wird zum Ergebnis gekommen, dass transsexuelle Menschen bei der Bundestagswahl 2013 nahezu ausgeklammert werden und ihre Interessen von den meisten Parteien in Deutschland übergangen werden. Wir finden das ziemlich peinlich, da die Menschenrechtsverletzungen an transsexuelle Menschen gut dokumentiert und alles andere als unbekannt sind. Wir versuchen trotzdem mal, das wenige, was über transsexuelle Menschen gesagt wird, aufzuführen.

Ausschnitte aus den Wahl- bzw. Regierungsprogrammen der Parteien:

CDU

 

Transsexuelle Menschen werden nicht erwähnt.


ATME-Wertung: Unwählbar.

FDP

 

"Wir werden uns für mehr Akzeptanz und Selbstbestimmung von Transsexuellen einsetzen – gerade auch in der Arbeitswelt. In einem neuen Transsexuellen-Gesetz wollen wir zudem die Hürden zur Personenstandsänderung verringern. Im Zuge dessen sollen die Leistungen der Krankenkassen bei Geschlechtsangleichungen gesichert und vereinheitlicht werden."


ATME-Wertung: Die FDP ist für die Beibehaltung von Menschenrechtsverletzungen an Menschen, die mit entgegengeschlechtlichen körperlichen Merkmalen geboren werden. Daher ist die FDP unwählbar.

Kein Wort von:

  • Abschaffung des TSG als Zwangsgeschlechtsbestimmungsinstrument
  • Schaffung der Möglichkeit individueller medizinischer Behandlung

SPD

 

Transsexuelle Menschen werden nicht erwähnt.


ATME-Wertung: Unwählbar.

Bündnis 90/Grüne

  

"Wir unterstützen transsexuelle und intersexuelle Menschen in ihrem Kampf um ihre Menschenrechte. Eine Reform des Transsexuellenrechts muss Freiheit und Selbstbestimmung zum Leitbild haben, die Pathologisierung beenden und die Menschenwürde sichern. Die Leistungspflicht der Krankenkassen muss gesichert werden."

ATME-Wertung: Nur bedingt wählbar.

Kein Wort von:

  • Abschaffung und Aufarbeitung des medizinischen Missbrauchs transsexueller Menschen
  • Beendigung der bisherigen Praxis, transsexuelle Menschen als widernatürlich ("Gefühltes Geschlecht") anzusehen

Die Linke

 

Transsexuelle Menschen werden nicht erwähnt.


ATME-Wertung: Unwählbar.

Piraten

 

Transsexuelle Menschen werden nicht erwähnt.


ATME-Wertung: Unwählbar.


Zusammenfassend:

Wer in Deutschland transsexuell geboren wurde, wird von den Parteien im Stich gelassen. Von 6 Parteien erwähnen nur zwei transsexuelle Menschen in ihrem Wahlprogramm. Diejenigen, die transsexuelle Menschen erwähnen, sind die FDP und die Grünen. Die Wahlaussage der FDP zielt unserer Ansicht nach mehr auf eine Klientel ab, die transsexuelle Menschen in den letzten Jahrzehnten fröhlich selbstbestimmt hat: Die Mediziner. Bleiben die Grünen. Was im grünen Wahlprogramm steht, ist aber alles andere als konkret.

Die Politik in Deutschland sollte sich auf Grund der konkreten Menschenrechtsverletzungen an transsexuellen Menschen, die seit Jahren angemahnt werden fragen, wie glaubwürdig sie noch ist. Überzeugend finden wir das alles nicht. Wer so ein Desinteresse an den Belangen transsexueller Menschen zeigt, braucht auch nicht gewählt zu werden. Das, was wir daran wirklich schlimm finden, ist, dass die Parteien in Deutschland transsexuellen Menschen signalisieren: Bleibt bei der Bundestagswahl zu Hause, wir werden sowieso nichts für Euch tun. Wer aber Teile der Bevölkerung dazu einlädt, Nichtwähler zu werden und seine Stimme zu verschenken, der ist derjenige, der unserer Ansicht nach die Demokratie gefährdet.

Das einzige, was wir Euch mit auf den Weg geben können zur Bundestagswahl ist also, welche Parteien eure Interessen nicht vertreten: CDU, FDP, SPD, Linke und die Piraten beispielsweise.

Das ist ziemlich enttäuschend.

Hier ein Ausschnitt der Menschenrechtsverletzungen, für den sich die Politiker in Deutschland nicht interessieren:

  • Sexueller und psychischer Missbrauch von transsexuellen Menschen bei der Begutachtung im Rahmen des TSG
  • Zwang zu stereotypem Verhalten als Voraussetzung für die Korrektur von Personenstandspapieren
  • Behandlung von transsexuellen Frauen als "Männer, die sich wie Frauen fühlen", anstatt diese als Frauen anzuerkennen
  • Behandlung von transsexuellen Männern als "Frauen, die sich wie Männer fühlen", anstatt diese als Männer anzuerkennen
  • Öffentliche Behauptung, Transsexualität sei eine psychische Befindlichkeit, anstatt geschlechtliche Vielfalt als solche anzuerkennen
  • Verzögerung und Verschleppung medizinischer Massnahmen, sowie geschlechtliche Fremdbestimmung (Einteilung von Transsexualität als psychische Befindlichkeit dem "anderen Geschlecht" angehören zu wollen, anstatt Transsexualität als de facto existent anzuerkennen)
  • Hass- und Spottlieder, so wie diskriminierende Medienberichte, in denen transsexuelle Menschen regelmässig nicht in ihrem eigentlichen Geschlecht respektiert werden
  • Transsexuellenfeindliche Lehre in Universitäten und Schulen, in denen transsexuellen Menschen unterstellt wird, sie seien Menschen, die ein unnormales Identitätsgefühl hätten, anstatt anzuerkennen, dass transsexuelle Menschen sehr wohl ein gesundes Wissen über sich selbst haben
  • etc.

Zur Erinnerung: Diese Menschenrechtsverletzungen sind bekannt. ATME weist seit 2007 auf diese in Menschenrechtsberichten an die Vereinten Nationen hin. Auch die Parteien sind darüber seit Jahren informiert.

Link (zur Erinnerung, von was wir z.B. sprechen): ATME-Menschenrechtsberichte bei issuu



Eine Anmerkung von Christina Schieferdecker:

Der Vollständigkeit halber möchte ich zwei Texte anführen, die zwei Leute in Facebook zu diesem Artikel gepostet haben:
"Marvin Clerval: Bei den Linken findet sich eine Positionierung, allerdings nicht im Wahlprogramm: http://www.linksfraktion.de/themen/transsexualitaet/"
"Dorothea Zwölfer: SPD Programm: „Wir bekämpfen jede Form der Diskriminierung ..."

Und?

"Was sucht ihr, mächtig und gelind,
Ihr Himmelstöne mich am Staube?
Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind.
Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube
Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind."

In §6 des "Gesetz[es] zur Ausführung des Personenstandsgesetzes" (BaWü, gibts auch in anderen Bundesländern) heißt es:

"§ 6 Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen
Das Innenministerium wird ermächtigt, weitere Zuständigkeitsregelungen zur Durchführung des Personenstandsgesetzes durch Rechtsverordnung zu erlassen."

Jede Landesregierung kann per Rechtsverordnung beschließen, dass Standesämter die Vornamens- und/oder Geschlechtseintragsänderung bei transsexuellen Menschen durchführen müssen und kann dadurch verhindern, dass transsexuelle Menschen das TSG in Anspruch nehmen und sich für psychisch gestört erklären lassen müssen (und viel viel Geld an Gutachter zahlen müssen).
Welche Landesregierung, in der Parteien sitzen, die behaupten, transsexuellen Menschen helfen zu wollen, hat von dieser Möglichkeit bislang Gebrauch gemacht?

KEINE.

Warum?

Kein Bock, denke ich. Es geht ja eh nur um transsexuelle Menschen.

Oder, ums mit einem schwäbischen Nationalhelden zu sagen:
"Wie der Rattenfänger von Hameln
so zieht er durchs Ländle
wie beim Rattenfänger von Hameln
läuft mancher mit ihm mit"

"Der Kandidat, der Kandidat,
hat zo ällem was zum saga
der Kandidat der Kandidat,
hat zu ällem was parat"

Doch, wir haben Faust gelesen, eure Länderregierungen beobachtet und kennen des Pudels Kern nur zu genau.

"Faust
Das Pentagramma macht dir Pein?
Ey sage mir, du Sohn der Hölle,
Wenn das dich bannt, wie kamst du denn herein?
Wie ward ein solcher Geist betrogen?"

"Mephistopheles.
Beschaut es recht! es ist nicht gut gezogen;
Der eine Winkel, der nach außen zu,
Ist, wie du siehst, ein wenig offen."

Jetzt nicht mehr.