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Patriarchat und Deutung von Geschlecht

Als die Stuttgarter Erklärung entstanden ist, skizzierten wir darin eine medizinische Behandlung von Menschen, ohne, dass diese geschlechtlich gedeutet werden. Wir sind damals davon ausgegangen, dass es ausreicht, von "Geschlechtlicher Deutung" zu sprechen. Es scheint aber wichtig zu sein, sich erst einmal klar zu werden, was geschlechtliche Deutung ist. Sie ist direkt mit sexistischen Gewohnheiten in patriarchalen Gesellschaften verknüft.

Hier ein paar Merkmale dieser deutenden Gesellschaftsstruktur hinsichtlich geschlechtlicher Variationen:

  • Die körperlichen Ausprägungen eines Menschen werden geschlechtlich interpretiert und mit einem sozialen Geschlecht verbunden, welches dann einem Menschen von Aussen zugeteilt wird. Dazu gehören alle sozialen Geschlechter, auch ein drittes Geschlecht oder "Transgeschlechter", "Intergeschlechter", etc.
  • Die Aussagen eines Aussenstehenden über das Geschlecht eines Menschen werden als gültiger angesehen, als die Aussage, die ein Mensch über sich selbst trifft
  • Geschlechtliche Kategorisierungen gelten nicht als Privatangelegenheit, sondern werden verordnet, durch Gesetze und Diagnosen
  • Operationen des Körpers eines Menschen werden als Veränderungen des Geschlechts angesehen
  • Es werden Anführer der Kategorien bestimmt (meistens ohne, dass die Bevölkerung eine Wahl dazu gehabt hätte) um das patriarchale System geschlechtlicher Deutung aufrecht zu erhalten
  • Die Diagnosen und Gesetze zur Aufrechterhaltung deutender, patriarchaler Machtstrukturen haben zum Inhalt, die Deutung über geschlechtliche Zustände als übergeordnete Wahrheit zu setzen (Biologismen) und das, was davon abweicht, als "Identität" unterzuordnen
  • Verhaltensregeln zu den einzelnen Gender-Identitäts-Kategorien werden erdacht und die Unterschiede der Gender betont
  • Die Identität wird pathologisiert und zum Inhalt psychosexologischer Behandlungen und Psychodiagnosen Voraussetzungen für die körperliche Behandlung
  • Ziel der Behandlungen ist nicht die konkrete Hilfe der Hilfesuchenden, sondern die Reglementierung und Durchsetzung patriarchaler Geschlechtsdefinitionen
  • Die Aufteilung geschlechtlicher Kategorisierungen, die auf der Deutung von Körperzuständen basieren, wird streng überwacht und reglementiert
  • Begriffsdefinitionen werden so gefasst und Sprache so gewählt, dass diese der deutenden Weltsicht entsprechen
    usw.

Fragen zur geschlechtlichen Realität

Was im öffentlichen Diskurs gerne vergessen wird ist, dass Menschen mit Variationen des Körpers nicht automatisch Menschen sein müssen, die sich selbst als ein "drittes Geschlecht" sehen. Die meisten Menschen sehen sich Studien nach als heterosexuell. Anbei ein Bild einer Studie von Menschen, die medizinisch als Menschen mit Körpervariation erfasst worden sind. Zwei Drittel der befragten Personen äussern sich zu ihren Beziehungen zweigeschlechtlich: Heterosexuell oder homosexuell (wir gehen davon aus, dass Menschen nicht zugleich heterosexuell als auch homosexuell als Antwort ausgewählt haben).

Das lässt dann Rückschlüsse zu, die zu folgenden Fragen führen:

  • Kann es sein, dass die Gruppe der Menschen, sie sich als "drittes Geschlecht" ansehen und den Menschen mit medizinisch erfassten Variationen des Körpers zwei unterschiedliche Gruppen sind?
  • Wenn es so ist, wo kommen die mindestens zwei Drittel der Menschen mit Variationen des Körpers in der Öffentlichkeit vor, die sich nicht als drittes Geschlecht sehen? Durch welche Lobbygruppen werden diese Menschen vertreten?
  • Wie bildet die Politik diese Belange ab?
  • Was machen Medienvertreter um ein realistisches Bild über körperliche Variationen darzustellen? In welchem Verhältnis stehen Artikel, die Menschen vorkommen lassen, die eine weitere soziale Geschlechterschublade wie ein "drittes Geschlecht" präferieren und denen, die das nicht tun zur geschlechtlichen Realität?
  • Wie kommen Menschen in der Öffentlichkeit vor, die weder ein "drittes Geschlecht" noch ein zweites Geschlecht als gesellschaftlich erstrebenswert ansehen?
  • Was bedeutet es für den gesellschaftlichen Umgang mit geschlechtlichen Variationen, wenn Menschen, die sich nicht als ein weiteres soziales Geschlecht ansehen, zwangsweise verintergeschlechtlicht oder (je nach medizinisch-psychiatrischer Diagnose) zwangsvertransgeschlechtlicht werden?
  • Welche Rolle spielt die Erweiterung der Diagnose "Gender Dysphorie" im DSM, dem Buch der psychischen Störungen, für Menschen mit intersex-Diagnosen für die Fortführung geschlechtlicher Deutung? Welche institutionelle Übergriffigkeit steckt dahinter?
  • Wie sind in diesem Zusammenhang Aktivitäten von Organisationen zu werten, die diese Ausweitung der Psychodiagnostik bzw. Genderidentitätsdiagnostik unterstützt haben?
  • Wie ist in diesem Zusammenhang die Einführung von LGBTI-Stellen in Behörden der Städte und Gemeinden, der Länder oder des Bundes zu bewerten? Wie die Vertretungen in politischen Organisationen? Setzen sich diese für ein realistisches Abbild geschlechtlicher Realität ein?


(Bildquelle: Jones T, Hart B, Carpenter M, Ansara G, Leonard W, Lucke J. Intersex: Stories and Statistics from Australia. Cambridge, UK: Open Book Publishers; 2016)

Studie Intersex 2016