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Der ATME-Wahlcheck zur Europawahl

Wir haben alle Parteien, die bei der Europawahl in Deutschland wählbar sind angeschrieben und wollten konkrete Antworten auf konkrete Fragen. Die Frage war, wann Transsexualität - also die Abweichung des Körpers vom Geschlecht - als existent anerkannt wird und was die Parteien dafür tun wollen, dass eine medizinische Versorgung sicher gestellt wird, die ohne Geschlechtsidentität auskommt.

Diese Fragen haben wir verschickt:

Unterschied Transsexualität / Transgender anerkennen

1. Kümmert sich Ihre Partei - neben dem Thema Geschlechtsidentität - um das Thema Transsexualität? Falls ja wie?

Medizinische Behandlung ohne Gender-Deutung

2. Wie wollen sie sicher stellen, dass Menschen mit von ihrem Geschlecht abweichenden Körper medizinisch behandelt werden können, ohne dazu eine Geschlechtsidentitäsdiagnose über sich ergehen lassen zu müssen?

Sichtbarkeit des Themas Transsexualität

3. Wie stellen Sie sicher, dass in politischen Prozessen in der EU das Thema Transsexualität neben Transgender auch genannt wird (z.B. indem von LGBTTIQ gesprochen wird und nicht alleine von LGBTI)? Wie stellen Sie sicher, dass Personen mit Gender-Identitätsthema Transsexualität nicht weiter zu Gender Identity umdeuten (wie das in den letzten Jahren der Fall gewesen ist)? Wie sind ihre Ideen Transsexualität als Thema sichtbar zu machen?

Es wäre schön, wenn sie dazu KONKRET Stellung beziehen könnten. Standardantworten ignorieren wir in der Auswertung. Grosse und bekannte Parteien, die es nicht für nötig befunden haben zu antworten, werden wir dennoch erwähnen.

Die Auswertung:

CDU: späte Antwort

CDU und CSU respektieren geschlechtliche Vielfalt. Das geltende Transsexuellengesetz ist in seinen wesentlichen Grundzügen inzwischen fast dreißig Jahre alt. Es entspricht nicht mehr in jeder Hinsicht aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen. Im Ergebnis unterstützen die CDU und CSU das Vorhaben, das Transsexuellengesetz, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, auf eine neue zeitgemäße Grundlage zu stellen. Dabei soll es für trans Menschen einfacher werden, ihren Geschlechtseintrag anzugleichen. Ein entsprechender Gesetzesentwurf des Justizministeriums und des Innenministeriums soll nun im parlamentarischen Verfahren erörtert werden. Dabei sind durchaus Veränderungen des Entwurfs zu erwarten.  CDU und CSU werden im Rahmen der Erörterungen des oben genannten Gesetzesentwurfs für ein reformiertes Transsexuellengesetz auch die damit einhergehenden Fragen einer medizinischen Behandlung ohne Gender-Deutung diskutieren.  CDU und CSU achten das Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrecht jedes Menschen und respektieren geschlechtliche Vielfalt. CDU und CSU begrüßen den Vorschlag der Weltgesundheitsorganisation, die Diagnose „Geschlechtsidentitätsstörung“ aus der Liste von psychischen Diagnosen zu nehmen, um damit Transsexualität zu depsychopathologisieren und zu entstigmatisieren. Eine Depsychopathologisierung und Entstigmatisierung von Transsexualität halten wir für erstrebenswert. CDU und CSU setzen sich dafür ein, diese Fragen vor allem im Gesamtkontext der Reform des Transsexuellengesetzes zu erörtern.

Fazit: Die CDU sagt mit vielen Worten nichts. Eine Haltung wird nicht sichtbar.

Wahltipp: Nein.

 

SPD: keine Antwort

Wahltipp: Doppeltes Nein.

 

Grüne:

Für uns stehen die Anliegen und Erfahrungen der Betroffenen im Vordergrund. Deshalb suchen wir den Kontakt und Austausch mit den entsprechenden Interessens- und Selbstvertretungsverbänden und sind dankbar für Hinweise und neue Informationen. Wir wollen, dass in allen EU-Staaten Vornamen- und Personenstandsänderungen durch einen unkomplizierten Verwaltungsakt ermöglicht werden. Eine Geschlechtszugehörigkeit kann schließlich nur von den betreffenden Menschen selbst festgelegt werden. In unserem Wahlprogramm haben wir uns auch im Austausch mit verschiedenen Interessens- und Selbstvertretungsverbänden auf die Bezeichnung LSBTIQ* geeinigt, weil uns diese Bezeichnung so umfassend und inklusiv wie möglich erscheint. Wir stehen in ganz Europa an der Seite von LSBTIQ* und stellen uns den Angriffen gegen ihre Gleichberechtigung entgegen. Wir wollen, dass die Europäische Union in ihrer Außen-, Handels- und Menschenrechtspolitik als Garantin der Grundrechte und Grundfreiheiten auftritt. Außerdem setzen wir uns dafür ein, dass die EU-Förderung von gemeinsamen Projekten in Grenzregionen die Themen Vielfalt und Antidiskriminierung einschließt.

Fazit: Auch keine Antwort, auf die Fragen. Dass Transsexualität existiert, wird offenbar ignoriert. Eine Pseudoinklusivität wird behauptet, aber inhaltlich nicht auf die Fragen eingegangen. Die Antworten klingt wie aus dem Satzbausteinkasten oder auswendig gelernt. Es ist nicht erkennbar, ob identitäre Weltanschauungen hinterfragt und die daraus resultierenden patriarchalen Herrschaftspraktiken reflektiert worden sind. Es sieht eher nicht danach aus. Es wird von "Geschlechtszugehörigkeit" gesprochen und nicht von Geschlecht. Ein Kontakt zu ATME hatten die Grünen in den letzten Jahren auch nicht gesucht. Ein Austausch, der hier behauptet wird, hat nicht stattgefunden, ausser mit identitären Vereinen.

Wahltipp: Nein.

 

Die Linke:

DIE LINKE streitet dafür, dass alle Menschen frei und ohne Hürde ihren Personenstand und ihren Vornamen frei wählen dürfen. DIE LINKE streitet dafür, dass transgeschlechtliche Menschen die dauerhaften medizinischen Leistungen durch die öffentlichen Gesundheitssysteme übernommen werden. Hierzu haben wir uns schon zahlreich öffentlich geäußert, in Fachtagungen sowie zahlreichen Parlamentarischen Initiativen in Bund und Ländern sowie Debatten im Europaparlament. Wir werden dies auch weiterhin tun! Da wir die Pathologisierung von Transsexualität ablehnen, treten wir dafür ein, dass alle, die dies für sich reklamieren, auch die notwendigen Leistungen erhalten. Wobei sie umfassend über die Möglichkeiten und Folgen informiert werden sollten. DIE LINKE kennt den Unterschied zwischen Transgender und Transsexualität. In letzter Zeit benutzen wir häufiger den Ausdruck „transgeschlechtliche Menschen“. Hier gibt es sprachliche Suchprozesse in der Community, aber auch bei uns.  DIE LINKE stellt in den Vordergrund, dass die Menschenrechtssituation von trans- und intergeschlechtlichen Menschen sowie Transgender massiv verbessert werden muss (s.o.). Zunächst muss die Begutachtungspflicht entfallen und des Weiteren Bedarf es umfangreicher gesellschaftlicher Antidiskriminierungsmaßnahmen. Hier kann und muss die EU im Rahmen von Richtlinien weiter aktiv werden (insbesondere Aufgabe des deutschen Vetos gegen einen horizontalen Ansatz beim Diskriminierungsschutz beim Thema sexuelle Identität). Es geht uns zentral um eine aktive Menschenrechtspolitik die wir mit einem Kampf für ein soziales Europa verbinden. Rechtsextreme bekämpfen Menschenrechte. Der Neoliberalismus hat den Markt vor den Menschen gestellt. Wir streiten für ein soziales Europa – für alle Menschen.

Fazit: Die Linke definiert Transsexualität zu "Transgeschlechtlichkeit" um und denkt es geht um "sprachliche Suchprozesse". Damit findet sprachliche Kategorisierung von Geschlecht statt, was offenbar der Linken nicht ganz klar zu sein scheint. Der Inhalt der Fragen wurde offenbar nicht ganz verstanden. Die Antwort bleibt sehr allgemein formuliert. Dass medizinische Kosten übernommen werden sollen ist gut. Die Frage ist: Verstehen Sie im Detail, was dazu Voraussetzung ist... wie z.B. die Anerkennung von Transsexualität als existent?

Wahltipp: Jein.

 

FDP:

Wir Freie Demokraten kümmern uns um die Belange von Transsexuellen ebenso wie von Transidenten bzw. Transgender. Dies erkennt man daran, dass wir neben der Debatte um die Vornamens- und Personenstandsänderung klar Stellung zum Zugang zu geschlechtsangleichenden medizinischen Maßnahmen bezogen haben. Aus unserer Sicht muss gesetzlich klargestellt werden, dass hierzu neben der Angleichung primärer Geschlechtsmerkmale auch die Angleichung der sekundären Geschlechtsmerkmale gehört – wie zum Beispiel Stimme oder Behaarung. Es ist nicht hinnehmbar, dass Krankenkassen hier unterschiedlich und teils sehr restriktiv über eine Kostenerstattung entscheiden. Dies ist auch Gegenstand unseres Bundestagswahlprogramms, da die Zuständigkeit hier auf Bundesebene liegt (Sozialgesetzbuch V): „Die Krankenkassen sollen einheitlich die Kosten für alle geschlechtsangleichenden Behandlungen bei Transsexualität übernehmen.“ Wir Freie Demokraten sind der Auffassung, dass die Gutachten-Anforderungen des Transsexuellengesetzes überholt sind. Für uns ist der einzelne Mensch der beste Experte für seinen bzw. ihren Körper. Aus unserer Sicht wäre eine Erklärung an Eides statt zum Vorliegen von Transsexualität oder Transgender-Identität ausreichend. Ausreichend ist aus unserer Sicht dann ein einfaches fachärztliches Attest, dass keine die Urteilsfähigkeit einschränkende psychische Erkrankung vorliegt. Für uns umfasst das T in LSBTI (bzgl. englisch LGBTI) Transsexuelle, Transgender und Transidente gleichermaßen. Daher nutzen wir konsequent die vom Deutschen Bundestag genutzte Abkürzung. Aus unserer Sicht ist es in der öffentlichen Debatte wichtiger, die Inhalte zu besetzen, als Debatten um immer längere Buchstabenketten zu führen. Denn dies ist am Ende kontraproduktiv für die Wahrnehmung der berechtigten Belange in der Politik, da es unter anderem von der politischen Rechten diffamierend genutzt werden kann. Inhaltlich kümmern wir uns um Fragen wie die Vornamens- und Personenstandsänderung ebenso wie um gesundheitspolitische Themen wie den Zugang zu allen geschlechtsangleichenden Maßnahmen, einschließlich sekundärer Geschlechtsmerkmale. Außerdem setzen wir uns in den Bundesländern für die Aufklärung über Transsexualität in der Gesellschaft, insbesondere in den Schulen, ein. Damit ist die Sichtbarkeit in unserer Politik gegeben.

Fazit: Am Anfang des Textes klang es fast so, als ob sie Transsexualität anerkennen. Dann kam der Satzbaustein "Für uns umfasst das T in LSBTI (bzgl. englisch LGBTI) Transsexuelle, Transgender und Transidente gleichermaßen", der klar macht, dass der Unterschied zwischen Transsexualität (Abweichung des Körpers zum Geschlecht) und Transidentität/Trans* (Abweichung der Identität) auch der FDP nicht ganz bewusst ist. Die Argumentation, dass Sichtbarkeit von der "politischen Rechten" dann genutzt werden könnte, um zu diffamieren, ist auch eher suboptimal.

Wahltipp? Jein.

 

Allianz für Menschenrechte, Tier- und Naturschutz (Tierschutzallianz):

Die Themen Geschlechtsidentität, Transgender, Transidentität und Transsexualität liegen uns sehr am Herzen. Dies nicht alleine nur deshalb, weil wir besonders viele Mitglieder haben, die sich entweder außerhalb der Geschlechternorm einordnen oder selbst transident oder transsexuell sind, sondern auch und vor allem, weil uns die Rechte aller Menschen sehr viel bedeuten und wir gerade auch für diese vermeintlichen Randgruppen der Gesellschaft, viel bewegen möchten. Konkret geht es uns zum Beispiel darum, Forderungen hinsichtlich der medizinischen Versorgung, der Selbstbestimmung und der körperlichen Unversehrtheit durchzusetzen. Uns geht es dabei im Speziellen um eine vollständige Reformation oder gar Abschaffung des Transsexuellengesetzes (TSG), das ja in weiten Teilen schon vor Jahren als verfassungswidrig erklärt worden war. Die Selbstbestimmung muss hier im Vordergrund stehen und diskriminierende Forderungen nach Gutachten und Dergleichen muss aufhören. Auch der Schutz vor Diskriminierung ist uns besonders wichtig. Viele Länder in Europa sind da deutlich weiter als Deutschland, wo der Prozess gerade erst anfängt.

Wir kämpfen dafür, dass in bestehenden und künftigen Diskriminierungsschutzbestimmungen auch Benachteiligungen und Anfeindungen aufgrund der sexuellen und geschlechtlichen Identität erfasst werden. Jeder Mensch, egal welchen Geschlechts, kann krank werden oder durch einen Unfall Schaden nehmen. Hier darf das Geschlecht nicht ausschlaggebend sein, für die Art und Weise einer Behandlung oder für die individuelle Rehabilitation. Ein Mensch dessen Körper von seinem Geschlecht abweicht darf nicht per se als krank gelten. Sondern erst eventuelle Folgeschäden durch kulturelle, religiöse, erzieherische oder soziale Einflüsse, könen zu Erkrankungen führen, die dann unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder Geschlecht behandelt werden müssen. Eine Diagnose darf sich nur auf die eigentliche Erkrankung, nicht aber auf ein Geschlecht beziehen. Dies ist eine der Forderungen, die wir an die Politik haben und durchsetzen werden. LGBT oder auch LGBTTIQ sind Kürzel einer Gemeinschaft, in deren Topf gerade Transidente oder Transsexuelle Menschen nicht geworfen werden wollen. Das Problem hier ist die Tatsache, das gerade Transsexualität viel zu oft für eine sexuelle Orientierung, wie Bisexualität oder Homosexualität, gehalten wird. Trans* Personen mit in diesen Topf der LGB Gemeinschaft zu werfen, ist da sehr kontraproduktiv und fördert dieses Missverständnis noch. Deshalb möchten wir uns unter Anderem dafür einsetzen, das geschlechtliche Vielfalt nicht mehr mit sexueller Vielfalt verwechselt wird. Und das gerade das Thema Transsexualität immer gesondert behandelt und benannt wird, ohne sie mit den sexuellen Orientierungen in einen Topf zu werfen.

Was die Sichtbarkeit von insbesondere transsexuellen Menschen, also Jenen die auch die körperliche, medizinische Angleichung anstreben, und deren Problematiken angeht, so unterstützen wir vehement, die neuen S3-Leitlinien, die am 09. Oktober 2018 von der AWMF erlassen wurde. Diese S3-Leitlinien sind evidenz-basierte Empfehlungen an Berater, Behandelnde, Ärzte und Krankenkassen, um die medizinische Versorgung für transsexuelle Menschen zu vereinfachen und zu verbessern. Diese werden wir entsprechend vertreten und einfordern.

Fazit: Offenbar befindet sich die Allianz für Menschenrechte, Tier- und Naturschutz auf Seite derer, die weiterhin Körpervariationen zu Geschlechtsidentitäten umdeuten, nämlich der Psychomedizin, die sich mit den neuen AWMF-Leitlinien ihren Zugriff auf Geschlecht ausgebaut haben.

Wahltipp? Nein.

 

Die Humanisten:

Für die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben ist das nachweisbare biologische Geschlecht relevant. Hier sprechen wir uns für eine europaweite Einführung des dritten Geschlechts aus. Hinsichtlich einer empfundenen Geschlechtsidentität mit potenziell beliebig vielen Varianten sehen wir den Staat jedoch nicht in der Pflicht. Wir folgen dabei der von Ihnen kritisierten, aber ansonsten allgemein üblichen Sicht einer "empfundenen" Geschlechtszugehörigkeit - die wir aber voll und ganz anerkennen und respektieren. Für uns als evolutionäre Humanisten steht die freie Entfaltung des Individuums ohne moralische oder religiös geprägte Schranken im Mittelpunkt unserer Politik. Zugleich folgen wir aber auch einem wissenschaftlichen Ansatz zur Erarbeitung unserer Parteipositionen. Hier teilen wir - nach gegenwärtigem Kenntnisstand - die von Ihrer Organisation gewählte Sicht nicht.

Fazit: Die Humanisten sprechen sich klar für die Deutung von Geschlecht aus und nennen dieses dann "nachweisbar biologisch". Geschlecht wird am Körper festgemacht.

Wahltipp? Nein.

 

Mensch, Umwelt, Tierschutz:

Grundsätzlich vermitteln wir eine Gleichstellung aller Geschlechter sowie Sexualitäten. Wir fordern die Aufhebung des TSG von 1981 als Sondergesetz; eine kostenfrei Änderung des Vornamens und des Personenstandes auf Antrag beim Standesamt, basierend auf dem Selbstbestimmungsrecht der Person; keine psychologischen Gutachten mehr; eine rechtliche Leistungspflicht der Krankenkassen; den Ausbau des Diskriminierungsschutzes und den konsequenten Schutz der Privatsphäre sowie die Förderung von Beratungsnetzwerken. Die Aufklärung über die Unterschiede zwischen Transgender und Transsexualität ist auch für uns ein wichtiges Thema, da dies oft von der Öffentlichkeit durcheinander geworfen wird und sich Betroffene nicht verstanden und eventuell angegriffen fühlen. Wir fordern Fachpersonal für Krankenkassen sowie für die Ämter, die sich auf den Bereich Transsexualität/Transgender spezialisiert haben. Bei einer eindeutigen Feststellung der Transsexualität muss die Krankenkasse eine bestimmte Leistungspflicht gewährleisten. Uns ist es wichtig, dass niemand wegen seines Geschlechts oder seiner Geschlechtsidentität diskriminiert wird. Wir begrüßen daher, dass Transsexualität im ICD-11, dem aktuell überarbeiteten Diagnosekatalog der Weltgesundheitsorganisation, nicht mehr als psychische Störung gilt, sondern stattdessen unter dem Begriff „Geschlechtsinkongruenz“ im neuen Kapitel Sexualgesundheit verzeichnet ist. Eine vollständige Streichung aus dem Diagnosenkatalog empfehlen wir nicht, da ohne Diagnose der Zugang zur medizinischen Behandlung entfallen würde. Hormonbehandlungen und operative Eingriffe, wie die Entfernung gesunder Hoden oder gesunder Eierstöcke, sind medizinische Maßnahmen, die ohne entsprechende Diagnose nicht erlaubt sind. Eine Nennung im Diagnosenschlüssel soll jedoch keine Stigmatisierung darstellen, auch unauffällige Schwangerschaften und Geburten sind in diesem Katalog codiert. In unserem Programm verwenden wir die Bezeichnung LSBTTIQ und führen Transsexualität und Transgender explizit separat auf. Auch unser zugehöriger Arbeitskreis, der durch aktive Öffentlichkeitsarbeit u.a. mit Infoständen und über Social Media aufklärt und sich gegen Diskriminierung einsetzt, trägt den Namen LSBTTIQ. Auf EU-Ebene werden wir das Thema ebenfalls entsprechend behandeln und dabei gern mit Organisationen wie ATME e.V. zusammenarbeiten.

Fazit: Die Partei Mensch, Umwelt, Tierschutz äussert sich konkret zu wichtigen Fragen. Sie nennt LSBTTIQ und behandelt auch Transsexualität. Eines sehen wir skeptisch: Die "eindeutige Feststellung der Transsexualität". Auf welchem Konzept basiert das? Welche Gatekeeper sollen hier Deutungen vornehmen?

Wahltipp? Eingeschränktes Ja.

 

Piratenpartei:

Neben anderen Dingen fordern wir schon lange eine Überarbeitung des veralteten "Transsexuellengesetz". Es muss möglich sein, nötige Behandlungen zu erhalten, ohne von Arzt zu Arzt zu Arzt geschickt zu werden. Der aktuelle Spießrutenlauf ist nicht mit unserem Menschenbild vereinbar. Wir fordern eine Medizin die sich den spezifischen Problemen der Menschen annimmt, diese ernst nimmt und individuelle Lösungen findet. Die Diagnose und die nachfolgende Behandlung muss dem Patienten helfen. Wir halten es für sinnvoll deutlich zu machen, welche Begriffe sich hinter dem "Umbrella-Term" verstecken. Sei dieser nun LGBT, LGBTQIA, LGBTTIQ oder eine der vielen anderen Versionen. Alle enthaltenen Themen sind wichtig und müssen ernst genommen werden. Transsexualität und Transidentität sind zwei Themen die oft Hand in Hand gehen, aber sich dennoch klar unterscheiden. Hier ist es wichtig deutlich zu machen, dass es eben Unterschiede gibt und sich ersteres auf den Körper bezieht, während zweiteres vor Allem ein soziales Thema ist. Wir werden uns immer an den Debatten beteiligen und sind bei den vielen CSD`s, z.B. Berlin, Köln, Düsseldorf, Hannover, Frankfurt/Main usw. dabei, um unsere Solidarität mit allen Geschlechtern und sexuellen Identitäten sichtbar zu machen. Für uns steht der Mensch im Mittelpunkt, nicht das Geschlecht.

Fazit: Die Piraten sind die einzige Partei, welche sich die Mühe gemacht hat, vor dem Schreiben über das ein oder andere nachzudenken. Wir erkennen einen menschenrechtlichen Ansatz und ein weitgehender Verzicht auf identitäre Gruppenkonstruktionen.

Wahltipp: Ja.

 

Volt:

Wir möchten durch Aufklärung und Maßnahmen zur Anti-Diskriminierung die Offenheit der Gesellschaft für Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierung fördern. Dazu gehört etwa ein inklusiver Sexualunterricht, der in neutraler und umfassender Weise über sexuelle Vielfalt aufklärt. Zudem setzt sich Volt für eine Stärkung der Rechte von Trans*Personen und von intersexuellen Personen ein, um Gleichberechtigung auch auf politischer Ebene herzustellen. Diese Programme schließen Transsexuelle selbstverständlich mit ein. Volt fasst transsexuelle Menschen gemeinsam mit anderen Gruppen unter der Abkürzung LGBTIQ+ (Lesbian Gay Bisexual Trans Intersex Queer) zusammen. Volt setzt sich dafür ein, dass Hormontherapien und psychologische Hilfe für Trans*Personen von den Krankenkassen übernommen werden. Letzteres kann demnach von Transsexuellen und nicht nur von Transgender in Anspruch genommen werden. Indem diese Art von Behandlungen in das Leistungssegment der Krankenkassen aufgenommen werden, normalisiert sich die Behandlung von Trans*-Personen und verringert infolgedessen die Diskriminierungen bei der Behandlung. Gesetze, die die Komplexität anderer Sexualitäten zu einer “psychischen Krankheit” diffamieren, müssen geändert werden. Volt spricht sich grundsätzlich für die Stärkung der Rechte von Trans*Personen und eine Überarbeitung des deutschen Transsexuellengesetzes aus. Indem Volt von Gleichstellung (nicht von Gleichheit) spricht, wird die Diskriminierung dieser Menschengruppe aktiv angegangen. Gewalt und Hasstaten, die aufgrund der Geschlechtsidentität oder der sexuellen Orientierung der Opfer verübt wurden, sollen strenger geahndet werden. Um dies zu gewährleisten und sicherzustellen, dass die genannten Vergehen erkannt werden, sollen Trainings- und Sensibilisierungsmaßnahmen für Polizist*innen, Richter*innen und andere Angestellte des öffentlichen Dienstes eingeführt werden. An dieser Stelle kann die von Ihnen vorgenommene Differenzierung zwischen Transgender und Transsexualität Platz finden. Wir gehen davon aus, dass unsere politischen Ziele größtenteils auch Transsexuelle und nicht nur Transgender erreichen. Gleichzeitig sind wir noch eine sehr junge Partei, deren Mitarbeiter*innen ehrenamtlich arbeiten und nicht bei allen Themen schon jetzt in die Tiefe gehen können. Über Anregungen und Expertise von Ihrer Seite freuen wir uns.

Fazit: Volt denkt gender-identitär und trennt in Menschengruppen. Wir hatten nicht nach dem Unterschied zwischen Transsexuellen und Transgender gefragt, sondern nach einer Sichtbarkeit des Themas Transsexualität neben Transgender. Es handelt sich bei Identitarismus um eine Weltanschauung, die unserer Ansicht nach überwunden gehört.

Wahltipp: Nein.

 


Gesamtfazit:

Dass wir 2019 immer noch so wenig Parteien haben, die sich einmal ersthaft darüber Gedanken machen, ob der Körper eines Menschen nicht vom Geschlecht abweichen kann (also das, was Transsexualität bedeutet), ist wirklich erstaunlich. Es ist aber ebenso erschreckend. Wir fordern seit unserem ersten Menschenrechtsbericht zum internationalen Frauenrechtsabkommen CEDAW 2007/2008, dass sich die Politik des Themas annimmt. Was geschehen ist, dass wir mit Geschlechtsidentitätsdiskussionen zugekleistert worden sind, aber so gut wie niemand bereit gewesen ist, sich mit Transsexualität zu beschäftigen, ausser, wenn es darum ging das Thema Körper-weicht-vom-Geschlecht-ab noch weiter unsichtbar zu machen und allerlei Strategien für diese Unsichtbarmachung entwickelt wurden.

Insofern können wir nur eine Partei als wählbar ansehen: Die Piratenpartei. Reinfälle - und das ist sehr erschreckend - sind die SPD und die Grünen. Die SPD antwortet überhaupt nicht und die Grünen tun so, als ständen sie mit Interessensvertretungen in Verbindung. Das trifft aber auch nur auf diejenigen zu, denen es um Geschlechtsidentität geht. Kontakt zu Vereinen, die Transsexualität zum Thema haben wie ATME e.V. gab es in den letzten Jahren nicht. Deswegen ist die Antwort auch nicht ernst zu nehmen, sondern wird von uns als Augenwischerei gewertet. Die Linken wirken ausbaufähig, wenn sie anfangen würden, sich über Identitarismus und seine menschenrechtlich negativen Auswirkungen klar zu werden. Links meint nämlich eigentlich universalistisch zu denken und zu handeln. Menschenrechte sind links.

Wir wünschen uns sehr, dass die Politik endlich einmal damit beginnen wird, Transsexualität als existent anzuerkennen und daraus politische Handlungen abzuleiten. Die Anerkennung des Geschlechts von Menschen gehört dazu genauso, wie eine Medizin ohne Gender-Deutung und der Beendigung des medizinisch-psychiatrischen Zwangs seine Geschlechtsidentität zum Behandlungsgegenstand machen zu lassen, obwohl es bei Transsexualität darum eben genau nicht geht, sondern um den Körper.

Identitarismus überwinden - Ein menschenrechtlicher Neuanfang

In den letzten Jahren hat die Politik sich nicht mit transsexuellen Menschen zusammengesetzt. Sie hat hingegen Vereine und Initiativen unterstützt, die "Transgeschlechter" und "Intergeschlechter" - ganz nach Idee des medizinisch-psychiatrischen Weltbildes - erfunden haben. Die Politik hat das medizinisch-psychiatrische Weltbild, in welchem die Deutung von Geschlecht anhand von Körpermerkmalen und der anschliessenden Einteilung in Identitäten nie hinterfragt.

Die jeweiligen Initiativen und Vereine haben alles daran gesetzt, dass Transsexualität unsichtbar wird und dazu unterschiedliche Tricks und Mittel angewandt, vom Ausschluss von Menschen mit Transsexualität von Debatten und Diskursen, bis hin zu Propagandamassnahmen, in denen behauptet wird "Transsexualität" sei nur ein altes Wort für "Trans*" und beides drehe sich um "Geschlechtsidentität". Menschen die sich zu Wort gemeldet hatten und darauf bestanden, dass Transsexualität aber meint, dass Menschen existieren, deren Körper vom Geschlecht abweicht wurden aus Debatten entfernt. In den Medien kamen sie - bis auf wenige Ausnahmen - nicht vor.

LGBT-ohne-zweites-T-Verbände haben diese Entwicklung gestützt.

Das Ende dieser Entwicklung markiert nun der Gesetzesentwurf zum "neuen" TSG, der diese Kategorisierung von Geschlecht und die Deutung anhand von Körpern zum Inhalt hat. Körper werden gleich Geschlecht gesetzt und anschliessend dürfen Mediziner einteilen und Psychiater dann hinterher "beraten" in Sachen "Transgeschlechtichkeit", sollte sich dann jemand über die Einteilung beschweren. Die Existenz von Transsexualität, also dass Körper vom Geschlecht eines Menschen abweichen können wird - analog der Logik der LGBT-ohne-zweites-T-aber-mit-Sternchen-Propaganda - genauso undenkbar gemacht, wie die Idee, dass Menschen selbst über ihr Geschlecht - und das ist etwas anderes als Geschlechtsidentität - besser Bescheid wissen können, als alle Aussenstehenden.

Der patriarchale Übergriff wurde gesichert. Das passt zu Zeiten, in denen lesbische Personen Rechtspopulistinnen sein können und schwule Botschafter für Möchtegern-Faschisten wir Trump arbeiten können. Es ist die Zeit des Identitarismus, die Zeit in der die Patriarchen sich wieder die Macht über Körper und Mensch sichern wollen. Dazu brauchen sie nationale Identitäten genauso wie Geschlechtsidentitäten.

Wir sind überzeugt davon, dass diese Zeit enden muss und Identitarismus geächtet werden muss, wie der Rassismus nach dem Ende des zweiten Weltkriegs. Ein bisschen Veränderung im Falschen, wird das Falsche nicht vorbei gehen lassen. Das einzige, was das Falsche beenden kann, ist das Falsche zu beenden.

Es muss in den nächsten Jahren um Menschenrechte gehen. Darauf muss alles aufbauen, um diese schreckliche Zeit zu überwinden.