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Essay - Feminismus auf Irrwegen? Von Jessica Noir

Der folgende Text stammt von Jessica Noir, die diesen am 21. Dezemberg auf Facebook veröffentlich hatte. Wir haben die Erlaubnis von ihr erhalten, den Text hier wiederzugeben.

"Essay – Feminismus auf Irrwegen?

Vor etwa einem Jahr sprach ich mit einer verzweifelten Frau. Sie litt unter starken Depressionen aufgrund von Ausgrenzung und Intoleranz. Stets lebte sie am Rand einer Gesellschaft, die Frauen nach wie vor auf ihren Körper reduziert und ihr das Gefühl gab nicht dazu zugehören, nicht normal und unerwünscht zu sein. Am Ende gab sie den Hass und der Hetze der anderen nach, sie brachte sich um. Diese Weihnachten weilt sie nicht mehr unter uns.

In einer Zeit wo der Faschismus wieder aufkeimt und Minderheiten mehr denn je zur Zielscheibe von Spott und Hass werden, braucht es eine starke Bewegung der Solidarität. Der Feminismus sollte hierbei eine tragende Rolle spielen. Wie kaum eine andere Bewegung stand diese für Selbstbestimmung, Freiheit und Gleichheit aller Menschen. Doch gerade in diesen unruhigen Tagen treten immer mehr selbsternannte Vertreterinnen auf, welche sich radikale Feministinnen nennen und nichts Besseres zu tun haben, als auf Minderheiten einzutreten. In ihrem menschen-verachtenden Vorgehen hetzen sie gegen Männer und Frauen gleichermaßen. Aber vor allem hetzen sie gegen Frauen, welche nicht in ihr rassistisches Weltbild passen. Anstatt für ein friedvolles Miteinander einzutreten, in der jeder Mensch gleich an Rechten und Würde ist, schlossen sie einen faulen Kompromiss mit dem Patriarchat und machen sich stark für eine faschistische Elite die keine Abweichung von der Norm zulässt. Sie denunzieren alles, wofür der Feminismus einst mal stand.

Sicherlich ist es falsch den Feminismus anhand von frauenfeindlichen Einzelpersonen zu bemessen, doch wann immer ich in letzter Zeit einen Artikel von sogenannten Feministinnen sah, war dieser voller Hass, Vorurteile und Verleumdungen gegen Minderheiten. Wenn der Feminismus dazu missbraucht wird um gegen Minderheiten zu hetzen, dann sollten Feministinnen nicht schweigend zusehen. Denn wenn sie diesen Hass in ihren eigenen Reihen zulassen, dann machen sie sich auch mit schuldig an der Gewalt, dem Leid und den Suiziden die daraus folgen.

Ich will es nicht glauben, dass der Feminismus mit dem faschistischen Zeitgeist schwimmt. Ich will nicht glauben, dass Selbstbestimmung, Freiheit und Gleichheit nur noch belanglose Lippenbekenntnisse sind. Ich will nicht glauben, dass der Feminismus dazu beiträgt Frauen aus Minderheiten auszugrenzen und zu stigmatisieren. Wo sind die Feministinnen, welche einst für die Gleichheit aller Menschen und deren Würde kämpften. Warum schweigen sie?"

Quelle:
Facebooklink: Essay - Feminismus auf Irrwegen?

Frauen, Feminismus, Faschismus

Die rechtsextreme Autorin Birgit Kelle, die Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer und die Erfindern von Harry Potter, J.K. Rowling, haben eine Gemeinsamkeit: Sie halten Frauen mit Abweichung des Körpers vom Ideal für keine Frauen. Damit sind sie nicht alleine. Sie werden unterstützt von rechten Netzwerken und von Frauen, die sich "radikale Feministinnen" nennen. Was hat das mit einem gesellschaftlichen Rollback und Faschismus zu tun?

Gedanken von Kim Schicklang

Ein wesentliches Merkmal des Faschismus ist seine Idealisierung und seine damit verbundene Aufteilung in die Einen (die dem Ideal nahe kommen) und die Anderen (die von ihm abweichen). Abgeleitet wird diese Gruppenaufteilung von Körperzuständen wie Beispielsweise Haut"farben" oder körperlichen Versehrtheiten und Behinderungen.

Geht es um Geschlecht, werden diese Gruppen "Gender" genannt. "Gender" wurde in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts als Wort eingeführt, um den Prozess der Idealisierung von Körperzuständen sichtbar zu machen. Aus einem Körper, der mehr oder weniger weiblich ausgebildet ist, abzuleiten, dass ein Mensch zwingend Kinder gebären will oder seine Rolle als Hausfrau wahrnehmen möchte ist eine solche Idealisierung.

Während Körperzustände sich auf einem Spektrum zwischen zwei Extremen befinden können (je nach Körperteil unabhängig voneinander) und dies in den meisten Fällen so ist, dass die Körpermerkmale sich irgendwo zwischen diesen Extremen ausbilden, fusst die anschliessende Einteilung in soziale Gruppen auf gesellschaftlichen Konventionen. Oder, um englische Worte dafür zu verwenden: Die Einteilung in Gruppen auf Basis des Körpers meint, aus Sex wird Gender. Erkennen lässt sich dieser Akt der Deutung und Interpretation von Körpern meist daran, dass es - nach erfolreicher Wandlung von Sex zu Gender - nicht mehr um konkrete Körperzustände geht, sondern wir uns in einer Welt wiederfinden, in denen Gruppenzugehörigkeiten als wichtiger erachtet werden, als biologische Realität. Aus einem Menschen, dessen Körper sich mehr oder weniger weiblich entwickelt hat, wird eine "Frau".

In faschistischen Gesellschaften handelt es sich bei dieser "Frau"-Werdung nicht um eine freiwillige Angelegenheit, sondern sie ist zwingendes Resultat des Weltbildes, das dem Faschismus innewohnt. Eine für den Faschismus ideale Frau ist eine Frau, die einen Körper hat, der Kinder gebärt und ihre gesellschaftliche Rolle aus ihrem Körper ableitet. Ausnahmen von dieser Regel sind im Faschismus nicht geduldet.

Was aber hat das mit Birgit Kelle, Alice Schwarzer und J.K. Rowling zu tun?

J.K. Rowling ist jüngst auf twitter aufgefallen, als sie sich hinter eine Aktion gestellt hat, in der Maya Forstater unterstützt wird. Maya Forstater gehört zu den Frauen die anderen Frauen aberkennt, Frauen zu sein und aus diesem Grund bei ihrem Arbeitgeber keine Vertragsverlängerung erhalten hatte. Rowling twitterte dazu, sie fände es nicht in Ordnung „Frauen aus ihren Jobs zu drängen, weil diese äussern, dass das biologische Geschlecht eine Tatsache ist“. Daran, dass die Deutung von Körpermerkmalen nie mit dem, was manche Menschen schnell als das "biologische Geschlecht" bezeichnen, zu tun hat, sondern eben eine Interpretation darstellt, die auf Vorstellungen basiert, die der Deutende im Kopf hat, sei an dieser Stelle noch einmal erinnert.

Dabei konnte Rowling sich in ihrer Aussage die Vorarbeit anderer exklusiver Frauen zu Nutze machen, die Frauen mit Körpervariationen das Wissen über ihr Geschlecht aberkennen und dieses Wissen zu einer Frage der vom biologischen Geschlecht, dem Sexus, abweichenden "Gender Identität" umdefinieren.

Was liegt es näher, als dass Autorinnen wie Birgit Kelle diesen Diskurs aufgreifen und ihn alsbald weiterführen? Kelle schreibt auf der rechten Hetzseite achgut.com einen Artikel, den sie "der weibliche Penis" nennt, und beklagt sich darüber, was geschehen würde, wenn eine Frau nicht mehr als solche "messbar" sei, sondern es von "individuellen Befindlichen" abhinge, wer Frau ist und wer nicht? Kelle macht damit klar: Körper gehören abgemessen und entscheiden, welchem Geschlecht ein Mensch angehöre, müsse ein Aussenstehender. Der Zugriff auf Körper muss gesichert sein. Warum erinnet das an diejenigen, die der Ansicht waren, dass Frauen dem Führer ein Kind zu schenken hatten? Kelle nennt das "Urweiblichkeit ist Fruchtbarkeit".

Und weil eins zum anderen kommt, passt auch das "Dossier Transsexualität" der aktuellen Ausgabe der Emma dazu. Alice Schwarzer, die sich gerne damit rühmt, Freundin von Simone de Beauvoir gewesen zu sein, verwundert regelmässig, ob sie überhaupt verstanden hat, was de Beauvoir geschrieben hat. Ging es Beauvoir in ihrem Erstlingswerk "das andere Geschlecht" darum, aufzuzeigen, dass Menschen auf Grund ihrer Körper dann bestimmten gesellschaftlichen Gendern zugewiesen werden und dieser Akt der Zuteilung ein patriarchaler Akt ist, von dem es sich zu lösen gilt, teilt Schwarzer Frauen dem Geschlecht "Mann" zu, um Geschichten zu erfinden, wie der Geschichte über einen "Mann, der eine Frau werden wollte". "Frau" kann Schwarzer nicht denken, und Mensch gleich gar nicht.

Und so sind sie alle beieinander und sich einig: Wessen Körper von der Norm abweicht, wie eine Frau auszusehen hat, ist ein Mann. Nötigenfalls wird nachgemessen. Der erste, der in der Regel nachmessen darf, ist der Mediziner, der einer Geburt beiwohnt. Ihm wird die Erlaubnis Messerlaubnis übertragen. Und das Ergebnis des ersten Schwanzvergleichs, dem ein Mensch aufgezwungen wird, legt dann dann fest, welche Markierung ein Mensch erhält. Sind die Genitalien so beschaffen, dass die Messung schwierig wird, wird das Kind als "inter*" markiert - äussert sich das Kind später anders als die Messung, lautet die Markierung "trans*".

Diese Messungen von Körpern, um daraus Gender-Festlegungen zu treffen, sind Teil faschistischer Strategien. Es geht darum, die "Anderen" zu markieren. Eine solche Markierung kann ein Zeichen oder ein Symbol sein, aber auch ein Wort. Menschen jüdischen Glaubens wurden in den 1930er-Jahren "Juden" genannt und mit einem gelben Stern markiert. In den Konzentrationslagern hatten sie auch Zeichen für Asoziale und Zeichen für politisch Oppositionelle. Menschen, die dem Ideal nicht entsprechen, werden heute aus ähnlichen Gründen - um eine Gruppe von der Idealgruppe abzugrenzen - als "Transfrau" bezeichnet.

Wir erleben heute, wie normal diese Abgrenzungen der "Anderen" vom Ideal mittlerweile geworden sind. Menschen, die sich als Frauen verstehen, hetzen auf Twitter und Facebook gegen andere Frauen, die nicht den Körper mitbringen, der faschistischen Idealvorstellungen entspricht.

Und wie verhält sich die sogenannte bürgerliche Gesellschaft? Reiht sie sich ein in die Hetze, übernimmt sie die Markierungen, die im Sinne der Abgrenzung eingeführt worden sind? Oder wird die Logik geschlechtlicher Deutung, der Messung von Körpern und der Zuteilung in Gender-Kategorien in Frage gestellt?

Um die Frage selbst zu beantworten: Bisher ist von einer Kritik an dieser Praxis kaum etwas zu hören. Zwar gibt es Menschen, die sich angesichts der Äusserungen von Rowling, Kelle oder Schwarzer entsetzt zeigen. Nur wo bleibt die Konsequenz, die Ursachen der Normierung von Geschlecht aufzuspüren, und die Idealisierung von Geschlecht zu beenden? Es reicht nicht aus, Artikel zu schreiben, in denen Menschen sich als Unterstützer von LSBT-Rechten zu erkennen geben, wenn diejenigen, welche die Artikel schreiben noch nicht einmal verstehen, was der konkrete sowie weltanschauliche Unterschied zwischen Transsexualität und trans* ist (das eine beschreibt die Umstand, das Körper auch vom Geschlecht abweichen können - das zweite meint Identitäten) und es deswegen eigentlich LSBTTIQ heissen muss. Und was ist mit den Menschen, die in den letzten Jahren fleissig daran gearbeitet haben, dass Transsexualität im öffentlichen Diskurs nicht mehr vorkommt, sondern durch so etwas wie "trans*" ersetzt worden ist? Sind die Sternchenfeministinnen nicht mitverantwortlich für die Rechtsverschiebung des Geschlechterdiskurses, da sie die Gender-Kategorisierungen ausgebaut haben, während andere Frauen wie Kelle die Vermessung von Körpern einführen? Was haben wir denn am Ende, wenn Schubladen errichtet werden? Es wird welche geben, die sie nutzen. Das erleben wir nun.

Die Sternchenfeministinnen sind somit denen, die sich "radikale Feministinnen" nennen, näher, als sie zugeben, haben sie doch die Gender-Kategorien wie "trans*Frau" und "Transgeschlechter" erst erfunden, die dann andere Frauen wie Alice Schwarzer, Birgit Kelle und J.K. Rowling und ihre radikalfeministischen Anhängerinnen ganz im Sinne idealisierter Frauenvorstellungen nutzen.

Wenn Feminismus bedeutet, patriarchale Machtstrukturen zu überwinden, in denen Menschen Gendern zugeteilt und zugeordnet werden - zwangsweise und ausgehend der Deutung von Körperzuständen - dann bleibt die Frage, wie feministisch Sternchenfeministinnen und Radikalfemistinnen handeln und ob ihre Konstruktion der "Anderen" mittlerweile nicht offensichtlich genau das Gegenteil von dem hervor gebracht hat, was beabsichtigt gewesen ist.

Wir können so weiter machen, bis zu dem Punkt an dem faschistische Weltanschauungen gesellschaftliche Auswirkungen haben, die über den Hass auf Frauen, die menschenverachtenderweise als "Transfrauen" bezeichnet werden, hinaus geht und die Anbetung von Körperidealen und Gender-Kategorisierungen alle Menschen betrifft. Oder unsere Gesellschaft fängt an, diese geschichtliche Phase der Verachtung, des Hasses, der Ignoranz und der Niedertracht hinter sich zu lassen. Wir könnten anfangen damit, Idealisierungen von Geschlecht zu hinterfragen und zu überlegen, inwiefern Menschen geschlechtlichen Idealen überhaupt entsprechen und wir könnten uns Gedanken darüber machen, wie wir als Menschen damit umgehen wollen, wenn Menschen existieren, die Merkmale mitbringen, die von den Idealen abweichen. Wir könnten diese Variationen als eixstent anerkennen. Würde uns das nicht weiter bringen?

Edit:

Es gibt mittlerweile eine Reaktion der Emma auf unseren Artikel. Mehr dazu hier.