Politiker bestürzt über Zwangssterilisationen

"Ihr hättet noch länger machen können" oder "das war hoch interessant" waren Reaktionen aus dem gut gefüllten Lauras Cafe in Stuttgart und der Podiumsdiskussion "Transsexualität und Menschenrechte" am 2. September 2009 - und das, obwohl die Veranstaltung bereits schon 40 Minuten länger dauerte, als geplant. Das Thema "Transsexualität" scheint wohl so langsam die muffigen Hinterzimmer zu verlassen, wie sich zeigte, und traf nun in der Öffentlichkeit auf offene Ohren. Verblüffung bei all den nicht-transsexuellen Menschen im Publikum machte sich breit darüber, welche Menschenrecht verletzenden juristischen und medizinische Regelungen noch heute existieren, denen transsexuelle Menschen in Deutschland ausgesetzt werden, wie zum Beispiel Zwangssterilisationen oder die bisher geltende Definition von Transsexualität als psychische Störung. Zu Gast waren Vertreter der Parteien - Stefan Kaufmann (CDU), Biggi Bender (Grüne), Ute Vogt (SPD), Marta Aparicio (Linke) und Michael Marquardt (FDP). Moderiert wurde die Diskussion von Christina Schieferdecker und Kim Schicklang vom Verein Aktion Transsexualität und Menschenrecht e.V.

Man kann es schon als kleinen Meilenstein in der Emanzipation transsexueller Menschen sehen, wie bestürzt die fünf Parteienvertreter waren, als sie mit den Problematiken transsexueller Menschen konfrontiert wurden. Die bisher im sogenannten Transsexuellengesetz geregelte Praxis, dass sich transsexuelle Menschen zwangssterlisieren lassen müssen, um ihre Papiere ändern zu können, konnte keiner der anwesenden Politiker und Gäste nachvollziehen. Selbst Stefan Kaufmann von der CDU bezeichnete diese gesetzlichen Regelungen als "menschenverachtend".
 
Alle Politiker waren sich, trotz ihrer Parteizugehörigkeit einig darin, dass transsexuelle Menschen heute da stehen, wo sich die Homosexuellenbewegung noch vor einigen Jahren befand und bekräftigten, dass Veranstaltungen wie die Podiumsdiskussion in Lauras Café einen wichtiger Beitrag für einen gesellschaftlichen Wandel darstellen und machten den Anwesenden Mut, sich noch engagierter in der Öffentlichkeit mit ihren Diskriminierungserfahrungen zu präsentieren.

So wies die Bundestagsabgeordnete Biggi Bender noch einmal auf den Gesetzentwurf der Grünen hin, welcher eine Umfassende Reform des Transsexuellenrechts vorsieht. Zwangssterilisationen und die Begutachtung transsexueller Menschen als "psychisch krank" sollen aus dem Transsexuellengesetz gestrichen werden - ein Gesetzentwurf der ähnliche Forderungen enthält, wie die Vorstellungen der Linken. Marta Aparicio bekräftigte, dass auch die Fraktion der Linken nach der Wahl erneut Anträge einbringen wird, diese menschenverachtenden Regelungen, die bisher für die Änderung der Papiere gelten, zu kippen.

Wer weiss, dass die medizinischen Fehldefinitionen von transsexuellen Menschen als "psychisch krank" (aus denen dann z.B. in Deutschland bis heute Zwangssterilisationspraktiken hervorgehen, die selbst der Menschenrechtskommissar des Europarates jüngst aufs schärfste verurteilt hatte) ebenso menschenverachtend sind, wie einst bei Homosexualität der Paragraph 175, da hier ebenso Menschen existentielle Rechte verwehrt werden, bemerkte, dass das, was die Vertreter der Parteien geäussert haben und wie sie sich dem Thema öffneten, als ein Beginn eines fast schon revolutionären gesellschaftlichen Wechsels bezeichnet werden kann. Einige Menschen aus dem Publikum waren sich dann in ihrer Gefühlsäusserung über den Abend einig: "Das war ganz gross".

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Mitschnitt der Podiumsdiskussion als audio-Datei