Warum sich in der Deutschen Sexologie nichts ändert

Die deutsche Sexologie muss endlich damit aufhören, so zu tun, als ob sie in der Lage wäre, transsexuelle Menschen wahrheitsgemäss zu beschreiben. Richtig ist: Die deutsche Sexologie ist eine Weltanschauungslobby, die nach wie vor transsexuelle Menschen als nicht-existent ansieht und sich allerlei Tricks ausdenkt, damit die Menschen in Deutschland weiterhin nicht anerkennen müssen, dass transsexuelle Frauen als transsexuelle Mädchen und transsexuelle Männer als transsexuelle Jungs geboren werden. Dies beweist sich (wieder einmal) in einer Veröffentlichung von Hertha-Richter-Appelt, Timo O- Nieder und Peer Briken.

Der Artikel nennt sich "Transgender, Transsexualität und Geschlechtsdysphorie: Aktuelle Entwicklungen in Diagnostik und Therapie" und fängt mit einem Satz an, der viel über die Weltanschauungen der drei Verfasser aussagt:

"Nicht alle Menschen entwickeln ein Identitätserleben, das im Einklang mit ihren körperlichen Geschlechtsmerkmalen steht."

Die Behauptung, die in diesem Satz steckt, ist dann auch die Kernmethode der Psychopathologisierung. Anstatt geschlechtliche Vielfalt anzuerkennen, wird eine Selbstaussage, die ein Mensch über sich treffen kann zu einer subjektiven Aussage erklärt, die sich einer objketiven Wahrheit unterzuordnen hat. Ein Mensch der spätestens mit seinem Coming Out weiss, wer er ist, darf sich andichten lassen, dass das, was sich da offenbart hat, lediglich ein "Erleben" ist, und sich dieses "Erleben" irgendwann erst "entwickelt" hätte. Diese Sortierung nach einerseits geschlechtlich Gegebenem, einer behaupteten Biologie einerseits und den Menschen, die von der Biologie abweichen ist Kernmethode derer, die transsexuelle Menschen als nicht-existent anerkennen können und wollen.

"In den letzten Jahren traten jedoch in zunehmendem Maße Personen an die Öffentlichkeit, die zwar ein bestimmtes Ausmaß an Geschlechtsinkongruenz erleben, jedoch keine bzw. wenige körperlichen Veränderungen anstreben und manchmal ein Leben zwischen den etablierten Geschlechtsrollen als für sie wünschenswert erachten."

Wer behauptet, es gäbe so etwas wie ein "Leben zwischen den [...] Geschlechtsrollen" wird ein sehr stereotypes Rollenbild im Kopf haben, bei dem klar geregelt ist, was eine "männliche Rolle" und eine "weibliche Rolle" zu sein hat. Genau diese Vermischung zwischen Stereotyp und Realität taucht in dem Artikel auch an anderer Stelle auf:

"wenn das Identitätserleben bei Vorliegen einer uneindeutigen bzw. nicht eindeutig männlichen oder weiblichen körperlichen Geschlechtsentwicklung (Intersexualität) zur Diskussion steht."

Ein weiterer wichtiger Begriff um Pathologisierung und Psychopathologisierung trans- und (intersexueller Menschen) zu erkennen ist: Deutung. Immer dann wenn "Eindeutigkeiten" behauptet werden, offenbart sich darin der Medizinerwunsch, derjenige zu sein, der dann definiert, wie gedeutet wird. Letztendlich definiert ein Mediziner oder Psychoanalytiker damit die Störung, zu dessen Heilung er sich selbst anbietet. Bereits die medizinisch wie psychologische Deutung von Geschlecht ist aber bereits der Beginn des geschlechtlichen Zugriffs.

"Als jüngster Begriff der Community gilt Trans* (sprich Trans Sternchen), der wiederum als Überbegriff fungiert. Er soll all jenen Menschen einen Bezugsrahmen bieten, deren Geschlechtsidentitätserleben nicht (bzw. nicht komplett und/oder dauerhaft) mit der bei der Geburt zugewiesenen Geschlechtsrolle übereinstimmt."

Die Aktion Transsexualität kehnt diesen Sammelbegriff deswegen ab, da Transsexualität primär nichts mit Identität zu tun hat, sondern mit dem Körper. Primär für das Coming Out eines transsexuellen Menschen ist das Wissen um die abweichenden Körpermerkmale zum eigentlichen Geschlecht, ein Wissen das eben gerade nicht mit äusseren gesellschaftlichen Rollen-Einflüssen zu tun hat. Häufig genug kann ein transsexuelles Coming Out erst dann seinen Weg bahnen, wenn der- oder diejenige sich von äusseren Identitätsfragestellungen- und Rollen-Erwarttungen löst. Transsexualität ist also genau das Gegenteil von dem, was da von den Damen und Herren Sexologen in Hamburg beschrieben wird.

Spannend wird es, wenn es um die Frage der Diagnostik geht. Der ICD-11 soll 2015 eingeführt werden. Dazu heisst es:

"Variationen im geschlechtlichen und sexuellen Erleben und Verhalten von Menschen sollten nicht als Ausdruck einer psychischen Störung aufgefasst werden"

Wer weiss, dass Transsexualität nichts mit "Verhalten" zu tun hat, wird auch dies als Ausdruck einer Weltanschauung begreifen, die transsexuelle Menschen nicht als geschlechtliche Normvariante anzuerkennen bereit ist. Frech wird es, wenn genau das Gegenteil davon behauptet wird:

"Erstmals in der Geschichte der Diagnosen aus dem Spektrum Transsexualität werden geschlechtsinkongruente Erlebens- und Verhaltensweisen bzw. die (Trans-)Identität der Betreffenden nicht per se in einen Zusammenhang mit (psycho)pathologischen Entwicklungen gestellt."

Im weiteren Verlauf des Artikels wird klar, wohin die Reise gehen soll und warum transsexuelle Menschen weiterhin als Menschen definiert werden sollen, die ein Identitätsproblem besitzen: Macht und geschlechtlicher Zugriff. So soll es nicht etwa möglich sein, dass ein transsexueller Mensch schnelle und unkomplizierte Hilfe erhalt. Vorgeschaltet werden soll eine Überprüfung der "Identitäts-, Begehrens und Geschlechtsrollenaspekte in der psychosexuellen Entwicklung", was dann nötig machte, das "Anderssein in der bisherigen Lebensgeschichte" zu erfragen. Dazu gehöre eine "gründliche psychopathologische Befunderhebung".

Wir fragen uns, was Rolle und Identität mit Körpermerkmalen zu tun haben, die vom Geburtsgeschlecht abweichen. Genauso wundern wir uns über den Punkt "Transgender-Versorgung", da hier von "gegengeschlechtlicher Kleidung", "Geschlechtsrollen" und "Geschlechtswechseln" gesprochen wird und wir tatsächlich das Gefühl haben, dass hier die stereotype Weltanschauung der Verfasser des Artikels sich hier ihren Weg gebahnt hat. Menschen, die deswegen solche Artikel schreiben, weil sie sich den Zugriff auf transsexuelle Menschen sichern wollen:

"Damit Transgender-Menschen die geschlechtsspezifische Erscheinung ihres Körpers mithilfe körperverändernder Behandlungsmaßnahmen entsprechend ändern lassen können, bedarf es einer Indikationsstellung, die in der Regel von spezialisierten Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten übernommen wird."

Interessant wird es, dass die Sexologie mittlerweile auch ausweichende Antworten auf die Frage um das "eigentliche Geschlecht" eines Menschen gibt, und somit der zentralen Kritik an der Psychopathologiserung, die damit beginnt, wenn man einem Menschen untertsellt nicht Teil der geschlechtlichen Realität zu sein, sondern lediglich ein subjetives Identitätsempfinden zu besitzen, aus dem Weg geht. So heisst es:

"Da das 'eigentliche Geschlecht' nur im Identitätserleben der um professionelle Unterstützung nachfragenden Person zu finden ist, wird die therapeutische Suche danach zumindest so lange als wenig zielführend erachtet, wie der ausdrückliche Auftrag dafür nicht von der Transgender-Person selbst formuliert wird."

Nein. Das "Eigentliche Geschlecht" ist nicht im Identitätserleben zu finden. Das "eigentliche Geschlecht" eines Menschen hat nichts mit Identität zu tun, sondern ein Mensch kann sich ein Wissen darüber eingestehen. Dieses Eingeständnis nennt man "Coming Out". Appelt, Nieder und Briken irren immer noch.

Dieser Artikel bestätigt eine der zentralen menschenrechtlichen Hauptforderungen der Aktion Transsexualität und Menschenrecht e.V.: Die deutsche Sexologie soll endlich ihre Finger von transsexuellen Menschen lassen und die Menschen mit ihrer Weltanschauung, in der transsexuelle Menschen nach wie vor keinen Platz haben, in Ruhe lassen. Es ist völlig legitim, dass es Menschen gibt, die nicht in der Lage sind, transsexuelle Menschen wahrzunehmen und so etwas wie einen blinden Fleck in ihrer Wahrnehmung besitzen. Es ist aber nicht legitim, wenn die Leute, die unfähig sind, transsexuelle Menschen als existent anzuerkennen, sich anmassen das Recht zu haben, geschlechtliche Definitionen aufstellen zu dürfen, aus denen sich dann geschlechtliche Fremdbestimmung ableitet. Es spielt übrigens auch keine Rolle, mit welchen netten Worten und Begriffen man versucht, geschlechtliche Fremdbestimmung zu schmücken. Es ist und bleibt geschlechtliche Fremdbestimmung.

Wir lehnen Nieder, Richter-Appelt und Briken, aber auch alle anderen psychopathologisierenden Sexologen ab. Übrigens: Was psychopathologisierend ist, definieren die Betroffenen.


Link: https://www.thieme.de/de/psychiatrie-und-psychotherapie/transgender-transsexualitaet-geschlechtsdysphorie-52624.htm