Tag der Deutschen Einheit - Ein Bericht von Kim Schicklang

Wir würden ja gerne mal was ausnahmslos positives Schreiben. Ehrlich. Vor allem, wenn man schon die Ehre hat, im Saal mit den wichtigen Persönlichkeiten des politischen Deutschlands zu sitzen und an der Feierlichkeit zum Tag der Deutschen Einheit teilnehmen darf. Doch der Tag in Stuttgart hat Dellen.

Ein Augenzeugen-Bericht von Kim Schicklang:

Persönliche Einlassdokumente für eine Einheitsfeier zu bekommen und zu wissen, dass nicht viele in den Genuss kommen, eine Rede des Bundesratspräsidenten und Bundespräsidenten in nächster Nähe beiwohnen zu dürfen, ist ein seltsames Gefühl. Als ich die Einladung erhielt, wundere ich mich erst. Menschenrechtsarbeit in Sachen Transsexualität ist nicht beliebt. Wie bei anderen unbeliebten Themen, kann man sich hier schnell die Finger schmutzig machen. Wer Menschenrechte für transsexuelle Menschen einfordert und dabei eine konsequente Haltung zeigt, kann nerven. Ich bin der Ansicht, es muss sogar nerven - solange nämlich, bis sich was ändert und transsexuelle Menschen endlich ernst genommen und mit Respekt behandelt werden. Daher wunderte ich mich über die Einladung.

Als ich mit dem Auto in der eigens für die Gäste reservierten Tiefgarage ankam, wusste ich noch nicht, dass das Auto, neben dem ich parken sollte, der Dienstwagen des Landtagspräsidenten des Saarlandes war. Aber das passte dann doch, wie sich später noch bestätigen sollte.

Kurz nachdem sich die Türen öffneten und ich im Saal, der Liederhalle in Stuttgart, Platz nahm, fing ich an, in der Broschüre der Einheits-Feierlichkeiten zu blättern. Als ich auf Seite 74 ankam, musste ich dann folgendes lesen:

"Am 2. Oktober ab 19.00 Uhr erobern Musikerinnen und Musiker Baden-Württembergs die Bühne auf dem Schlossplatz"

Gut, 2. Oktober war gestern, dachte ich mir. Aber der Text ging noch weiter:

"Für das Vorprogramm sind 'Die Orsons' verantwortlich..."

Die Orsons? Die Band, die ungefragt ein Spottlied über eine transsexuelle Frau namens "Horst und Monika" veröffentlich hat, damit für das Land Saarland beim Bundesvision Song Contest teilgenommen hat und bis heute nicht einsieht, dass ihr Song transphob ist? Die Kapelle mit dem Lied, das sogar die Staatsanwaltschaft Stuttgart als "verletzende Polemik" eingestuft hat? Die Rap-Gruppe um den Sänger mit der Pandamaske, die auch sonst Lieder mit so schönen Texten wie dem folgenden veröffentlicht?

Ausschnitt aus Beatles-Piraten:

"Jap, ich gib hier den Ton.. und sprech nicht mal in ganzen.. Ich bin Politrappen, geh raus und erstech ein paar Transen"

Und schon wieder war es da: Das Gefühl, dass immer noch nicht ganz angekommen scheint, dass wir in Deutschland eine massives Transphobie-Problem haben. Zugegeben, man erkennt es nicht sofort, denn Transphobie ist nicht wie sein Brüderchen Homophobie an seinem bösartigen und direkten Auftreten zu erkennen, sondern Transphobie ist vorallem eines: Ein Wolf im Schafspelz. Transphobe ist nett, freundlich und häufig auch in bunten Farben angemalt. Transphobie ist die fiese Nachbarin, die Dich immer anlächelt, wenn sie Dir auf dem Gang begegnet, aber just in dem Moment, an dem Du ihr den Rücken zukehrst, ihr Unwesen treibt. Transphobie ist hinterhältig und versteckt sich gerne. Transphobie ist der Arbeitgeber, der sagt, dass er kein Problem hat, wenn sich ein transsexueller Mensch am Arbeitsplatz outet, aber dann alle Hebel in Bewegung setzt, dass Du irgendwann frewillig kündigst. Transphobie ist der Psychologe, der Dich "Frau Meier" nennt, aber Herr Meier denkt. Transphobie ist Zeichen einer Oberflächlichkeit, die nach aussen lieb und nett aussieht und hintenrum längst an Deiner Vernichtung strickt.

einheitsfeier2013aMit Homophobie war es ja noch einfach. Homophobie ist plump, derb und immer als solche zu erkennen. Homophobie tut erst gar nicht so, als sei es keine Homophobie. Transphobie aber passt viel mehr in die Zeit, in der wir leben. Weil Menschen darauf bedacht sind, gut anzukommen und mitzumachen im gegenseitigen Ach-Was-Sind-Wir-Alle-Lieb-Zueinander-Geheuchele um dann im Stillen und Heimlichen die nächste Bösartigkeit auszuhecken. Wäre es nicht so klischeehaft, dann würde ich sagen: Transphobie ist weiblich. Dumm aber ist Transphobie trotzdem. Sie führt nie zum Ziel, macht die Welt für alle Menschen nicht zu einem besseren Ort, sondern höchstens zu einem, an dem wir bestenfalls uns gegenseitig noch besser anlügen, als zu vor und glauben, dass die Welt damit besser geworden wäre. Übrig bleibt Resignation, Verdrossenheit, Rückzug ins Passive und die Unverantwortlichkeit, die wir täglich erleben können - ganz unabhängig von Transsexualität.

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Die Multimedia-Präsentation war nett, aber auch nichts besonderes. Wahrscheinlich gemacht von Menschen, die sich gegenseitig sagen, wie gut sie sind, anstatt sich mit ehrlicher Kritik gegenseitig zu helfen. Und nein, eine Überblendung, die aus "Tear down this wall!" dann so ungünstig montiert ist, dass dann "Tear down this freedom" zu lesen ist, ist nicht gut. Wirklich nicht. Hätte man ja mal ansprechen können. Wahrscheinlich ist das im Sich-Gegenseitig-Anlächeln etwas untergegangen, als die Präsentation ausgearbeitet wurde.

Als ich den Faux-Pas mit den Orsons gerade verdaut hatte, kam der Teil, an dem Stuttgarter Musiker auf der Leinwand zu sehen waren. Und ja, da war sie dann: Die halbe Sekunde, in welcher ein Mann(?) mit einer Pandamaske zu sehen war. In dem Augenblick begann ich mich zu ärgern, spürte dann aber, dass aus dem Tag der Deutschen Einheit in Stuttgart doch noch was positives werden kann: Immerhin sitze ich ja nun mal hier im Saal, und das sogar länger als eine halbe Sekunde. Vielleicht ändert sich so langsam doch etwas. Und vielleicht bringt es doch etwas, so lange zu nerven, bis transsexuelle Menschen respektvoll behandelt werden. Mögen wir alle unserer Verantwortung gerecht werden. Und irgendwann entschuldigt sich auch ein Ministerpräsident oder eine Ministerpräsidentin des Saarlandes dafür, dass es mal von einer transphoben Kapelle vertreten wurde. Sonst mach ich euch nämlich das nächste mal einen Kratzer in die Dienstlimo. Ich weiss ja jetzt, wie sie aussieht.