Transsexualität: Grüne Ignoranz in BaWü?

Wie bereits erwähnt (siehe News vom 21.04.2012), fand am 20.04.2012 im Baden-württembergischen Landtag eine Anhörung zum "Gleichstellung und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt" statt. Eingeladen waren für das Podium Homosexuellen-Verbände, aber keine Vertreter von Organisationen, die sich für transsexuelle Menschen einsetzen. Wie uns bekannt wurde, hatte man auf der ursprünglichen Einladung der Grünen Landtagsfraktion in Baden-Württemberg die Worte "transsexuelle und intersexuelle Menschen" aus Platzgründen vom Einladungsflyer gestrichen. Dennoch tat man so, als wolle man auch transsexuelle Menschen bei der Anhörung dabei haben – aber nur im Publikum.

Von den insgesamt 3 Stunden, welche die Veranstaltung dauerte, konnten sich dann 10 min. lang transsexuelle Menschen zu Wort melden, was kommentarlos gehört und anschließend ignoriert wurde. Brigitte Lösch äußerte sich, als es ihr nach 10 min. zu viel um das Thema Transsexualität ging: „Um das Thema dann jetzt abzuschließen, noch den letzten Wortbeitrag". Man wollte sich nicht länger als unbedingt nötig und gezwungenermaßen, mit dem Thema Transsexualität beschäftigen. Vor der Wahl sah das ganze noch anders aus:

„Wir wollen ein neues Baden-Württemberg, in dem die Unterschiedlichkeit der Menschen sowie ihre Selbstbestimmung und Würde respektiert werden. [...] Um Respekt gegenüber homo-und transsexuellen Lebensweisen zu fördern und dies auch sichtbar zum Ausdruck zu bringen, muss dieses Thema vorurteilsfrei und gleichberechtigt in allen Lebensbereichen verankert werden: in Kindergärten, Schulen, in Sport- und anderen Vereinen, bei der Ausbildung, in Betrieben sowie in der breiten Öffentlichkeit und selbstverständlich auch in den Medien. [...] Ziel muss die Schaffung eines Arbeitsumfeldes sein, das frei von Vorurteilen und Abgrenzung ist. Wir werden uns dafür einsetzen, dass in der Landesverwaltung aktive Diversity-Politik betrieben und umgesetzt wird.“

So die Grünen in einer Antwort an ATME. Wir berichteten darüber und gaben den Grünen positive Noten, da wir Positives erwarteten – doch nicht das.

Bei der Anhörung im Baden-Württembergischen Landtag, waren sowohl die 1. Vorsitzende der DGTI (Ivonne Walter), als auch die 1. Vorsitzende von ATME (Kim Schicklang) im Publikum und meldeten sich zu Wort. Eine kleine Hoffnung entstand, die jedoch mit der aktuellen Presseveröffentlichung der Grünen im Landtag von BaWü zerstört wurde. Lediglich von Homophobie und Diskriminierung homosexueller Menschen ist die Rede – die Diskriminierung transsexueller Menschen möchte man nicht sehen. Die 1. Vorsitzende der DGTI (Ivonne Walter) schreibt dazu:

„Innerhalb dieser LGBT Veranstaltung [hatten wir] den Eindruck, dass es sich bis zur Fragerunde um eine Veranstaltung LGB ohne T handelt. [...] [Durch] 4 Rednerinnen [...] wurde auf die Situationen was Menschen mit T* (Transidentität, Transsexualität, Transgender) betrifft [...] aufmerksam gemacht.  [...] Bedingt Ihres Pressebericht[s] [...] stellt sich für mich die Frage, wie es sein kann, dass wir an Hand Ihres Pressebericht[s] nun wieder LGB ohne T haben. Haben wir sie bei der Veranstaltung nicht genügend aufgeklärt?

Soweit ich mich erinnern kann, ging [...] [es bei der] Veranstaltung um mehr Aufklärung in Baden-Württemberg, was LGBT betrifft und gegen Homophobie und Transphobie. Wie man aber deutlich Ihrem gemeinsamen Pressebericht beider Fraktionen entnehmen kann, ging es dabei [dar]um, Lösungswege gegen Homophobie zu finden. Dies ist dann gut im Sinne LGB ohne T aber nicht im Sinne LGBT da Transphobie vergessen wurde.

Des Weiteren wäre es zukünftig zu begrüßen, wenn Sie im Sinne von LGBT Veranstaltungen in Ihrer sehr zu begrüßende[n] Arbeit (Aktionsplan Baden-Württemberg) die Vereine die das T vertreten haben mehr in Ihre Arbeit einbinden würden. Dies damit es wieder zu einer LGB mit T Veranstaltung wird.“

Dem können wir nur zustimmen. Auch wir haben die Grünen in BaWü dazu aufgefordert, endlich "Zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, um in einen Dialog mit den relevanten Nichtregierungsorganisationen zu gelangen, um besser [unsere] [...] Forderungen zu verstehen, sowie Maßnahmen zu entwickeln, um effektiv zum Schutz der Menschenrechte transsexueller Menschen" bei zu tragen. Dies ist eine Forderung der Vereinten Nationen.

„Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass wir diesen [transsexuellen] Menschen nicht umgehend ihre vollen und bedingungslosen Menschenrechte geben. Die Mitgliedsstaaten des Europarates sollten alles Notwendige tun um sicher zu stellen, dass die Transphobie gestoppt wird und dass transsexuelle Menschen nicht mehr, in was auch immer, diskriminiert werden."

Diesem Satz von Thomas Hammarberg, dem Kommissar für Menschenrechte des Europarates, können wir uns nur anschließen. Wir fordern die Landesregierung Baden-Württemberg auf, sich dafür einzusetzen, dass transsexuelle Menschen nicht länger diskriminiert werden oder als psychisch krank gelten.

  1. Dafür ist es empfehlenswert, dass Menschen, (die von der Landesregierung bezahlt werden), keine Schriften verfassen dürfen, die transsexuelle Menschen als Menschen mit psychischen Problemen (oder Identitättsproblemen) darstellen. Die, welche dies in der Vergangenheit getan haben, müssen umgehend entlassen werden. Es muss klar sein, dass die Darstellung transsexueller Menschen als Menschen mit psychischen- oder Identitätsproblemen eine Hassrede (harte speech) darstellt, deren einziger Zweck darin besteht, transsexuelle Menschen zu verunglimpfen und lächerlich zu machen. Sie sind für das Leid verantwortlich, das transsexuellen Menschen in der Vergangenheit widerfahren ist und für noch immer menschenverachtende Darstellungen, vor allem in der Presse und so genannten „Fachbüchern“.
  2. Es muss eine umfassende Aufklärung stattfinden und die verschiedenen geschlechtlichen Spielarten der Natur, die eine natürliche Vielfalt darstellen. (Transsexualität ist angeboren und wird nicht erworben. Sie ist wahrscheinlich genetisch bedingt.) Diese Aufklärung muss unter maßgeblicher Beteiligung der Interessenorganisationen transsexueller Menschen stattfinden, wie der DGTI und ATME.
  3. Auch transsexuelle Menschen haben ein Recht auf Arbeit. Die Landesregierung muss sich dafür einsetzen, dass Arbeitsämter und Arbeitgebern umfassend über Transsexualität aufgeklärt werden. Die Arbeitsämter müssen transsexuelle Menschen genauso wie nicht-transsexuelle Menschen vermitteln und dürfen hier keine Unterschiede (also keine Diskriminierung) machen.
  4. Kein transsexueller Mensch darf gezwungen sein, seine Transsexualität zu offenbaren, weder an Schulen, noch an Arbeitsämtern, noch sonst wo.
  5. Die Landesregierung sollte sich klar für eine allgemeines Diskriminierungsverbot aussprechen und dieses in die Landesverfassung aufnehmen, angelehnt z.B. an das Diskriminierungsverbot in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, des zivil- oder des Sozialpaktes, sowie an die Anti-Diskriminierungsrichtlinien der EU, um ein deutliches Zeichen zu setzen. Diese Diskriminierungsverbot vollständig in das deutsche Rechtssystem zu integrieren und aufzunehmen, dazu hat sich die Bundesrepublik Deutschland bereits vor Jahrzehnten verpflichtet – bis heute ist nichts geschehen. Ein positives Signal wäre, wenn die Bestimmung einer allgemeinen Nicht-Diskriminierung Aufnahme in die Landesverfassung fände.
  6. Die Landesregierung soll sich dafür einsetzen, dass transsexuelle Menschen nicht länger als psychisch gestört eingestuft werden. Diagnosen aus dem DSM dürfen für transsexuelle Menschen, (egal ob Kinder oder Erwachsene) nicht angewendet werden, auch Kinder dürfen keiner Therapie der so genannten „Geschlechtsidentitätsstörung“ ausgesetzt werden. Für medizinische Maßnahmen sind die F-Diagnose-Schlüssel des ICD wenn möglich zu meiden, doch muss immer das Wohl des Patienten/der Patientin im Vordergrund stehen und es dürfen keine Diagnoseschlüssel angewendet werden, die zur Benachteiligung (gegenüber der Krankenkassen, Krankenversicherung, Ärzten, etc.) führen.
  7. Es dürfen von transsexuellen Menschen keine Kosten für irgendwelche Gutachten gefordert werden. Psychiatrische Gutachten sind menschenverachtend und menschenrechtswidrig. Die Landesregierung sollte dafür Sorge tragen, dass Vornamensänderungen und Personenstandsänderungen für transsexuelle Menschen kostenfrei möglich sind. Wir fordern dazu die Landesregierung auf, die Standesämter in Baden-Württemberg dazu zu veranlassen, Anträge auf Korrektur von Personenstand und Namen eines Menschen nach §47 Personenstandsgesetz zu behandeln und Verfahren nach sog. Transsexuellengesetz als Menschenrecht verletzend zu ächten.
  8. Die Bildung ist Ländersache. Wir fordern die Landesregierung dazu auf, die Finanzierung transsexuellenfeindlicher Lehre und die Finanzierung transphober Schriften, in denen transsexuelle Menschen als Menschen mit „gender dysphorie“ oder „Geschlechtsidentitätsstörung“ bezeichnet werden, umgehend zu beenden um weiteres Leid an transsexuellen Menschen abzuwenden.
  9. Wir fordern die Landesregierung dazu auf, sexuelle sowie psychische Übergriffe von sogenannten „Gutachtern“, die unter dem Deckmantel der Begutachtung transsexueller Menschen auf Grund des Transsexuellengesetzes geschehen, umfassend aufzuklären und erwarten hier ein klares Bekenntnis dazu, die menschenunwürdigen Behandlungen, insofern sie an vom Land finanzierten Einrichtungen geschehen sofort zu beenden. Anderenfalls erwarten wir eine Ächtung solcher Praktiken. Gleichzeitig müssen die Opfer des Transsexuellengesetzes finanziell entschädigt werden.


Anmerkungen/Dokumente:

Die komplette Veranstaltung als mp3: http://www.newslettergruenelandtagbw.de/img/toleranzplan.mp3

Reden der anwesenden Vertreter transsexueller Menschen (nach 1:42:38): 1. Ivonne Walter (DGTI), 2. Kim schicklang (ATME), 3. Franziska Hohmann (TransidentX) und 4. Brigitte Lösch: " „Um das Thema dann jetzt abzuschließen ...": http://atme-ev.de/images/texte/News/untitled.mp3

Brief der DGTI: http://atme-ev.de/images/texte/News/aktionsplan-bw-pressebericht-20120515.pdf

Brief von ATME: http://atme-ev.de/images/texte/News/stellungnahme-atme-05-2012.pdf

Pressemitteilung der Franktionen SPD und Die Grünen im Landtag: http://www.bawue.gruene-fraktion.de/cms/default/dok/410/410552.mit_aktionsplan_aktiv_gegen_homophobie.html

Flyer zur Veranstaltung am 20.04.2012, auf welchem zu wenig Platz für die Worte "transsexuelle und intersexuelle Menschen" war: http://www.brigitte-loesch.de/politik/schwule-lesben-transgender/Aktionsplan_email-einldg.pdf

Antworten der Parteien in BaWü an ATME: http://atme-ev.de/download/Fragebogen_Wahlen_BAWUE.pdf

Die Seite von Brigitte Lösch, auf welcher Forderungen der geladenen Gäste aufgelistet werden, jedoch KEINE Forderungen transsexueller Menschen: http://www.brigitte-loesch.de/politik/schwule-lesben-transgender/2012-04-20_aktionsplan.php