Vom Bewusstsein des Landes

"Transsexuelle sind Menschen, die ihr biologisches Geschlecht als falsch und sich selbst als zugehörig zum anderen Geschlecht empfinden"(1), "Das anatomische Erscheinungsbild eines Menschen ist typischerweise entweder eindeutig weiblich oder eindeutig männlich."(2), "Ich bin der umgebaute Opa von RTL2"(3). Schaut mensch sich um, liegt es nah sich zu fragen: Warum glaubt man in Deutschland immer noch an Adam und Eva? Vom Bewusstsein eines Landes, deren Bewohner immer noch annehmen, dass die Lebewesen die nicht zu ihren Weltanschauungen passen, unnatürlich sein müssen. Ein Land, in welchem auch Kinder (mit geschlechtlichen Normabweichungen) an Vorstellungen angepasst werden, anstatt die Vorstellungen an die Realität anzugleichen.

broschuere nrw april2012Der erste Satz (1) stammt aus einer Broschüre, die unter der Verantwortung von Marlis Bredehorst, Staatssekretärin im Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen entstanden ist. Es ist ein Satz, der dem enstpricht, was für die Erfindung von "Geschlechtsidentitätsstörungen" in den 60-Jahren erdacht wurde und bis heute den Missbrauch an und die Fremdbestimmung von transsexuellen Menschen rechtfertigt.

Marlies Bredehorst dazu:

"Man muss ja versuchen (das) irgendwie zu erklären, aber ich nehm' gerne Verbesserungen auf. Ich muss immer sagen, dass wir auch was Transsexualität angeht, immer noch lernen und wenn das jetzt wieder falsch ist, dann nehm' ich das gerne mit und wir werden das bei der nächsten Auflage... werde ich das der LAG Lesben - wir haben das ja nicht selber veröffentlicht, sondern die LAG Lesben hat dies veröffentlicht - werde ich das dort auch sagen. Meines Erachtens hat sie es auch transsexuellen Menschen gegeben und offensichtlich ist es in NRW nicht aufgefallen."

O-Ton ogg:

{source} [[audio controls="controls"]]
  [[source src="/o-ton/marlies_bredehorst_aktionsplan.ogg" type="audio/ogg" /]]
[[/audio]]
{/source}

O-Ton mp3:





Verteilt wurde die Broschüre, an der auch transsexuelle Menschen mitgearbeitet haben, auch auf einer Veranstaltung in Baden-Württemberg, einer Anhörung im Landtag zum Aktionsplan für Gleichstellung und Akzeptanz, die am 20. April stattfand.

Der zweite Satz (2) stammt von der Stellungnahme des Deutschen Ethikrates (Bundestagsdrucksache 17/9088 vom 14.02.2012) zur Frage der als "intersexuell" bezeichneten Menschen. Der Ethikrat hält damit an der christlich-abendländischen Vorstellung über Geschlecht fest, in der klar von eindeutig männlichen und eindeutig weiblichen Menschen als "typisch" ausgegangen wird, und die Menschen, die diese behauptete Eindeutigkeit nicht aufzeigten, dann entweder eine Störung der Geschlechtsentwicklung (DSD, "Disorder of Sex Development") aufzeigten, oder aber Menschen seien, die sich ihr geschlechtliches Selbstwissen nur herbeiphantasieren, was in der Regel von den Sexualwissenschaften als "Geschlechtsidentitätsstörung", bzw. "Gender Dysphorie" bezeichnet wird. 14 von 26 Ethikratsmitgliedern hatten oder haben kirchliche Amts-Positionen inne (kathologisch und evangelisch), so dass das Festhalten an einer Ideologie, die Männer und Frauen als getrennte Lebensformen ansieht - obwohl wissenschatlich längst bewiesen ist, dass die "Eindeutigkeit" von Geschlecht alles andere als typisch für die Spezies Mensch ist - wenig verwundert.

Auch intersexuelle Menschen waren an der Diskussion bis hin zur Veröffentlichung des Ethikrates beteiligt.

Der dritte Satz (3) ist die Überschrift zu einem Beitrag der Bildzeitung, den wir hier nicht näher kommentieren wollen, aber sich gut einreiht in das Bewusstsein eines Landes, das sich Deutschland nennt, und in welchem sich konservative Spiesser auf die Formel geeinigt haben:

Transsexuell, so die stereotype Weltanschauung, seien "biologische" Jungs, die sich "wie Mädchen/Frauen" fühlten ("gender dysphoria") und durch Hilfe von Ärzten (Hormone und/oder OPs) zu Frauen umgebaut werden und dann in der "Frauenrolle" (gender) leben dürfen (oder auch, im anderen "Fall", "biologische" Frauen, die als "Mann leben" wollen), insofern deutsche Gerichte - welche hier die Funktion der Aufrecherhaltung der Geschlechterordnung innehaben - damit einverstanden sind.

Wir (ATME e.V.) sind uns sicher, dass echte Veränderungen nur dann möglich sind, wenn sich das Bewusstsein der "Betroffenen" (von einer Geschlechterideologie "Betroffenen", die geschlechtliche Vielfalt leugnet) verändert. Ein Wandel zu einer Welt, die Vielfalt nicht als hohle Phrase begreift und bunte Farbe nicht lediglich als Lack für ein eindimensionales Weltbild versteht, fängt mit Respekt vor dem eigenen Selbst an und mit dem Willen zur Emanzipation.

Wir sind uns ebenso sicher, dass es zudem nur gut sein kann, wenn diejenigen, die wir oben als konservative Spiesser bezeichnet haben, und die zu den Schreibtischtätern gehören, die indirekt (oder sogar direkt) an den Menschenrechtsverletzungen an Menschen, die aus der geschlechtlichen Norm fallen, beteiligt waren/sind, dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Ethikrats-Beschlüsse, die nur dazu da sind, das bestehende christlich-konservative Adam-und-Eva-Weltbild zu stärken und Broschüren von Landesregierungen, die dieses Weltbild nur in buntere Watte packen sind unserer Ansicht nach wenig geeignet, um wirkliche Bewusstseinsveränderung zu erreichen.

Viel wichtiger ist ein lautes "Ja" zu geschlechtlicher Selbstbestimmung und eine Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen, die seit den 70er-Jahren unter dem Label "Geschlechtsidentitätsstörungen" stattfinden.

Hier zwei Bilder und O-Töne zu geschlechtlicher Selbstbestimmung:

1. Berlin, Demonstration am 18.04.2012 vor dem Berliner Jugendamt/Bezirksamt Zehlendorf (Aufruf des Aktionsbündnis ALEX zu einer Kundgebung)

Hintergrund:

demo berlin april2012Ein transsexuelles Mädchen wird auf Grund medizinisch-psychiatrischer Manuale als "geschlechtsidentitätsgetsörter" (biologischer) Junge angesehen. Sie muss einen Umplungs-Therapie-Versuch befürchten, der sie zu einem "Junge" machen will. Das "Aktionsbündnis ALEX" besteht aus Einzelpersonen und Vertreter_innen verschiedener Gruppen. Unterstützer_innen sind unter anderem: Triq, ABqueer, GLADT, LesMigras, autotrans, TCSD, ATME e. V., Berliner Kampagne-STP-2012, IfeB e.V. (Interessengemeinschaft freiberuflicher Einzelfallhelfer_innen Berlin), AK Marginalisierte Gestern und Heute, Ruby Tuesday e.V - Hip Hop & Rock Camps für Mädchen, Trans*, Inter; Initiative für einen geschlechtergerechten Haushalt in Berlin.

Bericht auf Indymedia: Link.

O-Ton-Collage ogg:

{source} [[audio controls="controls"]]
  [[source src="/o-ton/reparativ-fremdbestimmung.ogg" type="audio/ogg" /]]
[[/audio]]
{/source}


O-Ton-Collage mp3:


zu hören sind (nacheinander):

Kenneth Zucker, Leiter des Geschlechtsidentitätsstörungs-Komitees des DSM, dem Manual der psychischen Störungen (Link1: Gender Identity Disorders Subkomitee zum DSM 5, Rechte Spalte - Link2: Geplanter DSM 5 Eintrag bei Kindern), Hertha Richter-Appelt, Stellvertretende Direktorin des Institutes für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie am UKE in Hamburg und Immer-mal-wieder-Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung, Bernd Meyenburg, Leiter der Institutsambulanz der Klinik f. Psychiatrie des Kinder-u. Jugendalters der Goethe-Universität in Frankfurt (Link: Heilungschancen bei Geschlechtsidentitätsstörungen, VIVA München), Ute Thyen, Ärztin für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum in Lübeck und Beisitzerin des Vorstandes der Deutschen Liga für das Kind (Link: Geschlechtsidentitätsstörungen im Kindes- und Jugendalter, von David Goecker und Alexander Korte, Mitarbeiter am Institut für Sexualmedizin der Charité Berlin)

2. Stuttgart, 20.04.2012 im Stuttgarter Landtag: ATME-Flyer "Aufklärung der Sexologie-Verbrechen Jetzt!"

Hintergrund:

Die Grün-Rote Landesregierung hat zu einer Anhörung rund um den Aktionsplan "Gleichstellung und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt" in den Plenarsaal des Landtages von Baden-Württemberg eingeladen. Sprecher von Organisationen transsexueller Menschen, wie der LAG Lesben Schwule und Transgender von Bündnis90/Die Grünen, der DGTI e.V., der Selbsthilfegruppe TransidentX und die Aktion Transsexualität und Menschenrecht e.V. kamen zu Wort.

flyer sexologieverbrechen april2012"AUFKLÄRUNG DER SEXOLOGIE-VERBRECHEN JETZT!

Seit den 30er-Jahren werden transsexuelle Menschen in Deutschland von einer stereotypen Sexualwissenschaft nicht mehr als per se existent angesehen, sondern man unterstellt, Transsexualität (wie das Geschlecht transsexueller Menschen) sei widernatürlich.

Basierend auf diesen Ideen, konnten Sexologen wie John Money später behaupten, transsexuelle Frauen seien "(biologische) Männer, die sich wie Frauen fühlen" und transsexuelle Männer, "(biologische) Frauen, die sich wie Männer fühlen". Transsexualität wird, entgegen des Wissens, das bereits auf Grund der Forschungen des Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld in den 20er-Jahren vorhanden war (und der geschlechtliche Normabweichungen wie Transsexualität als in der Natur existent ansah) heute von transsexuellenfeindlichen und geschlechtsstereotypen Ideologen als Rollenproblem (gender) bzw. Identitätsproblem (identity) angesehen. Gleichzeitig wird behauptet, Transsexualität sei die "Endstrecke" von psychopathologischen Entwicklungen, die zum Wunsch nach "Geschlechtsumwandlung" führten und so getan, als könnten Menschen transsexuell werden.

Folgen dieser Sichtweise, die sogar zu Gesetzen wie dem sog. Transsexuellengesetz, sowie medizinischen Diagnosen ("gender identity disorder"/"gender dysphoria") geführt haben, sind eine bis heute anhaltende geschlechtliche Fremdbestimmung transsexueller Menschen, die bis heute zum gesetzlich und medizinisch legitimierten Missbrauch (bis zur regelmässigen sexuellen Nötigung durch sog. "Gut"achter) an transsexuellen Menschen führt.

Auch das Land Baden-Württemberg unterstützt bisher diesen Missbrauch durch finanzielle Mittel (Es gibt Professoren in Baden-Württemberg, die als Mitglieder von sexologischen Komitees für die menschenverachtenden internationalen Diagnosestellungen mitveranwortlich sind), oder dadurch, dass - analog der stereotypen Ideologien ala John Money - transsexuelle Menschen in ihrer Existenz verschwiegen werden und so getan wird, als ginge es bei Transsexualität um "gender" oder "identity", anstatt um existierende geschlechtliche Normabweichungen.

Wer anfangen will, den Missbrauch an transsexuellen Menschen zu beenden, sollte damit anfangen, transsexuelle Menschen beim Namen zu nennen**.

Für eine Aufarbeitung der Verbrechen an transsexuellen Menschen: ATME e.V. Aktion Transsexualität und Menschenrecht (http://atme-ev.de)"

Links:

Bericht von Aktion Transsexualität und Menschenrecht e.V. an die WHO
Reparative Therapien an transsexuellen Menschen

 ---
** Auf der ursprünglichen Einladung der Grünen Landtagsfraktion in Baden-Württemberg waren "transsexuelle Menschen" aus Platzgründen vom Einladungsflyer gestrichen worden.

O-Ton mp3: