Abschaffung des OP-Zwangs auch Schwächung der Rechte transsexueller Menschen

PRESSEMITTEILUNG

Abschaffung des OP-Zwangs auch Schwächung der Rechte transsexueller Menschen

Durch ein aktuelles Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 11. Januar 2011 wurde der OP-Zwang, dem sich transsexuelle Menschen für die Änderung der Personenstandsdokumente unterziehen mussten, für nicht vereinbar mit der Verfassung erklärt. Obwohl dies ein wichtiger Schritt für die Rechte transsexueller Menschen ist, schwächt das  Bundesverfassungsgericht zugleich andere wichtige Rechte und stärkt die Psychopathologisierung transsexueller Menschen durch die deutsche Sexologie.


Viele NGOs, sowie Menschenrechtlicher kritisieren seit langem die deutsche Praxis, dass transsexuelle Menschen sich eine psychiatrischen  Begutachtung unterziehen müssen, um in ihrem eigentlichen Geschlecht anerkannt zu werden. Eine transsexuelle Frau muss sich beispielsweise nach den Richtlinien der Sexualwissenschaft und medizinischen Begutachtungskriterien gefallen lassen, als "Mann mit Identitätsstörung" angesehen zu werden, um in Deutschland als Frau zu gelten. Transsexuelle Männer seien, so die deutsche Sexologie, Frauen, die "als Männer leben" wollen.


Das Bundesverfassungsgericht stärkt nun diese psychopathologisierende Sichtweise, in dem es in seinem Urteil vom 11. Januar ausführt:

"Dementsprechend setzt der Gesetzgeber für eine personenstandsrechtliche Änderung des Geschlechts nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 TSG unter Bezugnahme auf  § 1 Abs. 1 TSG zunächst voraus, dass eine Person, die sich dem anderen als dem festgestellten Geschlecht zugehörig fühlt, durch zwei Gutachten voneinander unabhängiger Sachverständiger, die über einschlägige fachliche Kenntnisse und berufliche Erfahrungen auf dem Gebiet der Transsexualität verfügen, nachweist, mindestens seit drei Jahren unter dem Zwang zu stehen, den Vorstellungen über ihr Geschlecht entsprechend zu leben. Des Weiteren muss mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass sich das Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, die personenstandsrechtliche Anerkennung an solche Voraussetzungen zu knüpfen."

Die Aktion Transsexualität und Menschenrecht e.V. hält diese Sichtweise, die das Bundesverfassungsgericht nun bekräftigt, für einen Verstoss gegen internationales Menschenrecht.

Bereits Anfang 2009 stellte das CEDAW-Komitee der Vereinten Nationen folgendes fest:

"Dass transsexuelle Frauen als psychisch kranke Männer bezeichnet werden, um als Frauen akzeptiert zu werden, ist ein Paradoxon. Dem muss  ein Ende gesetzt werden."

(O-Ton Silvia Pimentel, CEDAW-Komitee)

Im selben Jahr folgten 300 Organisationen aus 75 Ländern, viele Einzelpersonen, einschließlich 3 Nobelpreisträgern einem Appell an die Vereinten Nationen, die WHO und die Staaten der Welt Transsexualität nicht länger als psychische Störung zu betrachten. Zu den bekanntesten  Unterzeichnern zählten: Der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit, Judith Butler, Jacques Delors, der ehemalige Präsident der EG-Kommission, sowie  Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek.

Im Sommer 2010 äusserte sich der Menschenrechtskomissar des Europarates Thomas Hammarberg ebenfalls dazu und forderte eine Abschaffung der  psychiatrischen Zwangsbegutachtung:

"Einige Mitgliedsstaaten des Europarates verfügen immer noch nicht über Bestimmungen zur offiziellen Anerkennung von Transgender Menschen, für  die dadurch eine rechtliche Ungewissheit besteht. Dagegen werden in den meisten Mitgliedsstaaten medizinische Klassifikationen angewendet, die  zwangsläufig zur Diagnose einer psychischen Störung [...] führen."
(Press release - 615-2010)

und

"Es gibt Berichte von transgender Menschen, die sich von Psychiatern_innen Genitaluntersuchungen gefallen lassen mussten, eine bestimmte Standardgeschichte ihrer Kindheit erzählen mussten, die als die einzig akzeptable gilt und manchmal wurde Anspruch darauf Patient_in zu sein nur als genuin betrachtet, wenn sie zumindest einen nachgewiesenen Selbstmordversuch verübt hatten. Andere transgender Menschen werden dazu gezwungen sich selbst in extremen Stereotypisierungen des bevorzugten Geschlechts darzustellen, um den Auswahlkriterien zu entsprechen, die sie im täglichen Leben der Lächerlichkeit Preis geben. Die Beispiele sind zu häufig, um sie aufzuzählen, aber es kann mit Sicherheit behauptet werden, dass der Großteil der Untersuchungen und Verfahren wie sie in den meisten Ländern praktiziert werden für gewöhnlich Aspekte beinhalten, die allenfalls als unverständlich bezeichnet werden können."
(Menschenrechte & Geschlechtsidentität von Thomas Hammarberg Europarat,  Kommissar für Menschenrechte Themenpapier 2009)

Wir sind erschüttert, wie das Bundesverfassungsgericht diese Menschenrechtsprozesse nicht mitbekommen haben will, und an einem stereotypen Geschlechterbild festhält, in welchem antiquierte Männer- sowie Frauenrollen festgeschrieben werden sollen. So führt das Bundesverfassungsgericht in seinem aktuellen Urteil weiter aus:

"Für ein Leben des Betroffenen im anderen Geschlecht ist eine Angleichung seiner äußeren Erscheinung und Anpassung seiner Verhaltensweise an sein empfundenes Geschlecht erforderlich. Dies wird zunächst nur durch entsprechende Kleidung, Aufmachung und Auftretensweise herbeigeführt, um im Alltag zu testen, ob ein dauerhafter Wechsel der Geschlechterrolle psychisch überhaupt bewältigt werden kann. "


Als Menschenrechtsorganisation sind wir bestürzt darüber, wie das Bundesverfassungsgericht es für in Ordnung befinden kann, Menschen eine  "Anpassung seiner Verhaltensweisen" an Geschlechterstereotypen abzuverlangen und noch nicht einmal darin einen Widerspruch zu Art2 GG  sieht, in dem die freie Entfaltung der Persönlichkeit eigentlich gewährleistet sein sollte.

Dass dieser Zwang zur Anpassung an Geschlechterstereotypen und die Praxis der Zwangsbegutachtungen durch dieses Urteil gestärkt wurden, ist  aus Sicht der Aktion Transsexualität und Menschenrecht e.V. ebenso ein Skandal, wie das Aufrechterhalten der Annahme Transsexualität sei  widernatürlich und lediglich ein Ausdruck des Lebens in einer stereotypen Geschlechterrolle.

Transsexualität ist natürlich - keine Störung der Geschlechtsidentität.