Zwei Schriftstücke: Orsons und das TSG

Wir haben zwei Schriftstücke erhalten, die wir hier kurz vorstellen möchten. Das erste betrifft den Spottsong "Horst und Monika" der Band "Die Orsons", das zweite eine 7 Jahre alte Petition an den Bundestag, das TSG zu ändern. Beide Schriftstücke erhalten Ausschnitte, die wir besonders hervorheben wollen. Die kompletten Dokumente finden sich dann unten am Artikel angefügt als pdf-Datei zum Download.

1. Staatsanwaltschaft Stuttgart zu den Orsons:

"Ein Vergehen der Beleidigung liegt nicht vor. Eine beleidigende Äußerung setzt einen rechtswidrigen Angrifft auf die Ehre einer anderen Person durch vorsätzliche Kundgabe der Missachtung voraus (Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 185, Rn. 4 m. w N.). Der Liedtext ist zwar teilweise ehrverletzend. Allerdings handelt es sich hierbei um Werturteile, da die Äußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens und des Meinens geprägt ist. Während unwahre Tatsachenbehauptungen keinen Schutz aus Art. 5 GG genießen, fallen Werturteile grundsätzlich unter die nach Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Meinungsfreiheit, für die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens prägend sind (BVerfG, NJW 83, 1415).

Während unwahre Tatsachenbehauptungen keinen Schutz aus Art. 5 GG genießen, fallen Werturteile grundsätzlich unter die nach Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Meinungsfreiheit, für die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens prägend sind (BVerfG NJW 83, 1415). Aus der Überzeugung heraus, dass die Meinungsfreiheit „konstitutiv für die freiheitliche und demokratische Staatsform" ist, hat das Bundesverfassungsgericht in gefestigter Rechtsprechung (vgl. BVerfG NJW 76, 1680; BVerfG NJW 84, 1741; BVerfG NJW 85, 787; BVerfG NJW 91, 95 und NJW 92, 1439) den Satz aufgestellt, dass im „geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit berührenden Frage" die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede spricht und dass im Interesse des offenen und ungestörten Meinungsbildungsprozesses auch verletzende Polemik hingenommen werden muss."

Die Strafanzeige wurde zwar eingestellt, aber wir halten nun fest: Verletzende Polemiken müssen hingenommen werden, da es sich um eine Meinung handelt. Da sich das ja aber auf die "Orsons" bezieht, wurde "Horst und Monika" zumindest als verletzende Polemik erkannt. Na, immerhin.

2. Petitionsausschuss zur Reform des TSG:

Auch das Petitionsverfahren wurde beendet. Grund ist die Überweisung des Materials an vier(!) Ministerien: Dem Bundesministerium des Innern. dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dem Bundesministerium der Justiz und dem Bundesministerium für Gesundheit. Gleichzeitig wird der Inhalt der Petition dem Bundestag zur Kenntnis übergeben.

"Der Petitionsausschuss stellt fest, dass das inzwischen fast 30 Jahre alte TSG nicht mehr in jeder Hinsicht medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht und daher unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG auf eine neue zeitgemäße Grundlage gestellt werden soll, um den betroffenen Menschen ein freies und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. [...] Die in den Petitionen aufgeworfene Frage, inwieweit die selbst erfahrene oder im Laufe des Lebens gewonnene geschlechtliche Identität eines Menschen durch ein staatliches Verfahren überprüft und bestätigt werden kann, wird bei der Reform des TSG geprüft. [...]

Aufgrund der dringenden Regelungsbedürftigkeit dieser Materie besteht nach Ansicht des Petitionsausschusses gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Das TSG entspricht nicht mehr aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und neueren gesellschaftlichen Entwicklungen. Die Rechte von Transsexuellen müssen nach Auffassung des Ausschusses weiter gestärkt und vorangetrieben werden.

Ferner merkt der Ausschuss in diesem Kontext an, dass die gesellschaftliche wie rechtliche Situation transsexueller Menschen auch auf europäischer Ebene kritisch betrachtet wird. [...] Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Petitionsausschuss, die Petition der Bundesregierung - dem Bundesministerium des Innern, dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dem Bundesministerium der Justiz und dem Bundesministerium für Gesundheit - als Material zu überweisen, damit sie in die Überlegungen zur Reform des TSG einfließen kann. Zugleich empfiehlt er, die Eingabe den Fraktionen des Deutschen Bundestages zur Kenntnis zu geben, weil sie als Anregung für eine parlamentarische Initiative geeignet erscheint."

Downloads:
Staatsanwalt Stuttgart zu den Orsons
Petitionsausschuss zum TSG

Medien? Man kann sich auch dumm stellen

Chelsea Manning: „Ich bitte auch, mich ab heute mit meinem neuen Namen anzureden und das weibliche Personalpronomen zu verwenden.“ Und wieder einmal bestätigt sich das, was wir in den letzten Monaten verstärkt beobachten: Medienmacher in Deutschland haben ein Problem damit das Geschlecht eines transsexuellen Menschen anzuerkennen. Anstatt einen deutlichen Satz wie "ich möchte ab sofort mit dem Personalpronomen 'sie' benannt werden, nachzukommen, wird darüber berichtet, dass ein Mensch diesen Wunsch habe - natürlich kommt ein deutscher Redakteur diesem Wunsch selbstverständlich nicht nach. Immer noch gilt in Deutschland: Transsexuellen Menschen darf man offen die Zunge herausstrecken, da es anscheinend nichts zu befürchten gibt. Oder?

Was ist an dem Satz so schwer zu verstehen?

„Ich bitte auch, mich ab heute mit meinem neuen Namen anzureden und das weibliche Personalpronomen zu verwenden.“

Wir gehen diesen Satz für deutsche Redakteure mal Stück für Stück durch, ok?

Ich:
In diesem Fall schreibt eine Person von sich.

bitte:
Gut, es ist eine Bitte. Einer Bitte muss man nicht nachkommen. Aber man könnte. Was könnte es für einen Grund geben, der Bitte nicht nachzukommen?

ab heute:
Hier handelt es sich um einen Hinweis auf eine Zeit. Heute bedeutet in diesem Fall: Ab sofort.

mit meinem neuen Namen anzureden:
Es handelt sich bei der obigen Übersetzung, die über einen Ticker einer deutschsprachigen Nachrichtenagentur ging, um eine Falschübersetzung. Im Original heisst es "I also request that, starting today, you refer to me by my new name". Das ist mehr, als in der Übersetzung steht. "Refer" heisst auch, wenn man sich auf sie bezieht bzw. von ihr spricht/schreibt/etc. zum Beispiel in Zeitungen.

das weibliche Personalpronomen:
in Deutschland wird da normalerweise "sie" verwendet

Eigentlich sollte das jeder Grundschüler verstehen. Warum deutsche Medienvertreter nicht?

Einem Menschen sein Geschlecht per Schulterzucken abzuerkennen ist kein Kavaliersdelikt. Es ist offene Transphobie. Die Ausrede, dass Zeitungen wie Stern, Spiegel, Zeit, Süddeutsche, Focus, Bild, eben nur uninformiert seien und so ein Fehler eben passieren könne, zieht langsam nicht mehr (ihr habt schon genügend Zeit gehabt Euch zu informieren und wir sind uns sicher, dass ihr auch schon mal eine Mail von uns erhalten habt). Wir hören die Ausrede seit mehreren Jahren und denken, dass sich solangsam rumgesprochen haben dürfte, was Transphobie ist: Sie ist immer dann gegeben, wenn ein Mensch meint, er müsse irgendeinen Grund dafür finden, warum er nicht dazu bereit ist, das Geschlecht eines transsexuellen Menschen, der mit einem Coming Out an die Öffentlichkeit geht, anerkennen zu wollen.
 
Unsere Lieblingsausrede von Medienmachern ist die folgende: "wieso denn, es gibt doch Betroffene, die meinen Artikel ganz toll finden..."
 
Das mag sein, aber wer so argumentiert, wird auch antiemanzipatorische Artikel schreiben können, weil es bestimmt irgendwo auch Frauen gibt, die gerne kochen und bügeln oder rassistische Artikel damit rechtfertigen können, dass man auch Menschen mit dunler Hautfarbe finden könnte, die freiwillig gerne hinten im Bus sitzen. Vorausgesetzt man sucht ein bisschen. Zugegeben, noch gibt es genügend transsexuelle Menschen, die eine Suche verkürzen, aber wir wagen mal die Prognose, dass eine Berichterstattung wie die über Chelsea Manning dazu beiträgt, dass es langsam und stetig immer schwieriger werden wird. Wir sind schon ein wenig dankbar für die Steilvorlage, die ihr uns geliefert habt, liebe Medienmeute.
 
So deutlich zeigt sich Ignoranz gegenüber dem, um was transsexuelle Menschen bitten, nämlich nicht jeden Tag. Vielleicht mal in kurz, was ihr tun könntet, um Euch nicht ganz so lächerlich zu machen (und es ist wirklich lächerlich, wenn man einen Satz zitiert mit einer Bitte darin und dann zeigt, dass man kein Bock darauf hat, dieser nachzukommen. Und Achtung: Damit zeigt ihr ja, dass es irgendein Problem geben muss, das ihr habt. Es ist nicht das Problem transsexueller Menschen, dass sie sagen, wer sie sind, sondern derjenige hat ein Problem, der nicht bereit ist anzuerkennen, was ein transsexueller Mensch gesagt hat. Die Frage ist: Was für eines?)
 
Ein transsexueller Mensch äussert mit seinem Coming Out, wer er ist. Wie mehr ist es nicht? Nein. Mehr ist es nicht.
 
Überlegt mal, was das bedeutet. Es ist ganz einfach. Man muss nur in der Lage sein, Respekt zu zeigen. Zum Beispiel vor einem Menschen, der wie Chelsea Manning den Mut hat, sich klar und bewusst darüber zu sein, was "Schreibtischtäter" für ein Wort ist, und was dieses Bewusstsein für Folgen haben muss, wenn man keiner sein will. Ihr könntet Euch an diesem Mut 'ne Scheibe anschneiden. Da man die Hoffnung nie aufgeben darf, haben wir an den Deutschen Presserat (Beanstandete Artikel in Stern, Focus, Spiegel, Zeit, Welt, Bild, etc.) geschrieben. Wieder einmal.
 
Auch hier gilt: Es ist nicht das Problem, dass sich transsexuelle Menschen beschweren, sondern euer Problem, liebe Medienleute, die ihr es nicht gebacken bekommt. Immer noch nicht. Ach ja... Warum eigentlich nicht? ...