Ai-Report berücksichtigt keine transsexuellen Menschen

Wir sind immer wieder darüber verwundert, wie Menschen, die unter "Transgender" offenbar etwas völlig anderes verstehen, als transsexuelle Menschen unter "Transsexualität" trotzdem meinen, es ginge um dasselbe. In einem aktuellen Bericht von Amnesty International heisst es, dass in allen Gesellschaften Gendernormen bestimmten, was als angemessenes Verhalten für Männer und Frauen gelte und wie man sich zu kleiden oder benehmen habe. Amnesty International richtet den Fokus der Kritik also auf Verhaltensweisen. Transsexualität hat mit Gender-Verhaltensweisen aber herzlich wenig zu tun.

Seit dem die Aktion Transsexualität und Menschenrecht e.V. 2008 in einem Report an die Vereinten Nationen darauf hingewiesen hat, dass transsexuelle Frauen Frauen sind (es ging um das internationale Frauenrechtsbakommen CEDAW), meinten wir, was wir geschrieben hatten. Was wir nicht geschrieben haben ist, dass transsexuelle Frauen Männer seien, die sich wie Frauen verhalten wollen oder weibliche Kleidung tragen wollen. Hier das Zitat von AI:

“In all societies, gender norms determine what is deemed 'appropriate' behavior for men and women, which may include dress, speech and mannerisms." und weiter "But individuals who transgress these boundaries – whose behavior lies outside of the accepted gender norms – often face stigma and discrimination, harassment, and sometimes even violence and murder."

Wir möchten hier in aller Deutlichkeit klarstellen, dass transsexuelle Menschen existieren. Sie sind nicht Männer, die sich wie Frauen verhalten wollen und auch keine Frauen, die sich wie Männer verhalten wollen. Wir sagen deutlich, dass wir nicht für Zwecke vereinnahmt werden wollen, die nichts mit Transsexualität zu tun haben. Wir finden es gut, wenn Amnesty International sich für Transgender-Personen einsetzt, wehren uns aber entschieden gegen Vereinnahmung und Unsichtbarmachung.

Wir wehren uns ausserdem auf eine Reduzierung des biologischen Geschlechtes auf wenige Merkmale, ein Vorhaben, dass dazu geeignet ist, transsexuellen Menschen eine Anerkennung in ihrem eigentlichen Geschlecht zu verwehren, oder eine Ungleichbehandlung zwischen angeblich "biologischen" und "unbiologischen" Geschlechtern legitimiert. Transsexuelle Menschen sind genauso biologisch vorhanden wie alle anderen Menschen. Sie sind nicht falsch oder künstlich.

Herzlichen Dank für das Beachten.

Demonstration für Vielfalt in Stuttgart

Am 1. Februar organisierte „DIE LINKE“ in Stuttgart eine Demonstration für geschlechtliche Vielfalt. Es gab Redebeiträge von Laura Halding-Hoppenheit (Kingsclub / DIE LINKE), Holger Henzler-Hübner (GEW / LSVD), Isabelle Hlawatsch (Netzwerk LSBTTIQ), Chris Michl (CSD Stuttgart), Oliver Hildenbrand (Landesvorsitzender BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Baden-Württemberg), Sven "Gonzo" Fichtner (Kreisvorstandsmitglied DIE LINKE, Stuttgart). Für ver.di (AK Lesben und Schwule) und ATME sprach Kim Schicklang.

Anlass für die Demonstration am Samstag war eine zeitgleich stattfindende Kundgebung gegen mehr geschlechtliche Aufklärung in den Schulen. Auch rechte Gruppen wie die AfD riefen zum Protest gegen den Bildungsplan auf, der ab 2015 auch die Themen Homosexualität, Intersexualität und Transsexualität behandeln soll und für mehr Wissen über geschlechtliche Normabweichungen sorgen wird.

Anbei der Redebeitrag von Kim Schicklang (ver.di / ATME e.V.):

kim feb 2014Bevor ich anfange... bei dem ganzen Ärger... man muss das ja auch mal positiv sehen. Selbst bei Oliver Welke in der Heuteshow wurde LSBTTIQ gestern genannt – und das heisst doch was. Manch einer schmunzelt immer noch über diesen Zungenbrecher, aber sehen wir's mal so: Geschlechtliche Vielfalt wird damit sichtbar, indem man sie sichtbar macht. Es zeigt, wie viele Menschen geschlechtlich von der Norm abweichen.

Auch Ines Pohl von der TAZ hat was richtiges in der Sendung Nachtcafe gesagt... es geht hier nicht um„sexuelle Praktiken“, sondern um geschlechtliche Vielfalt.

Die Frage ist aber: Was heisst das... geschlechtliche Vielfalt?

Jetzt ist die Chance da, sich an das zu erinnern, was bereits vor über 80 Jahren bekannt war: Dass Menschen geschlechtlich von der Norm abweichen können. Nicht weil sie es wollen, sondern weil es so ist. Menschen können schwul, lesbisch oder bisexuell sein. Sie können aber auch mit Körpermerkmalen geboren werden, die nicht dem eigentlichen Geschlecht entsprechen, oder uneindeutig sind.

Als letztes Jahr an 80 Jahre Bücherverbrennung erinnert wurde, gab es eines, was in der Öffentlichkeit immer noch weitgehend verschwiegen wurde:  Die Zerstörung des Sexualwissenschaftlichen Institutes in Berlin. Kaum einem Zeitungsjournalisten oder einem Fernsehredakteur ist es in den Sinn gekommen, daran zu erinnern.

LSBTTIQ heisst geschlechtliche Vielfalt.

Die Vernichtung des Wissens über geschlechtliche Normabweichungen war nicht etwa eine Randerscheinung der Bücherverbrennung, sondern stand in deren Mittelpunkt.

Es sind nunmehr fast 100 Jahre vergangen, einer Zeit in der ein jüdischer Mediziner namens Hirschfeld bereits wusste, dass geschlechtliche Vielfalt keine Frage des Verhaltens ist, sondern Teil dessen, was die Natur so mit sich bringt.

Jeder Mensch ist als Embyro... die ersten Wochen seines Lebens zwittrig angelegt. Erst nach und nach differenzieren sich die unterschiedlichsten geschlechtlichen Merkmale aus. Man sieht das daran, dass alle Menschen Brustwarzen haben.

Nun wäre es falsch anzunehmen, dass sich geschlechtliche Merkmale immer im „Komplettpaket“ entscheiden ob sie sich in die eine Richtung entwickeln oder in die andere. Manche Merkmale haben nicht das Interesse sich komplett auszubilden und bleiben in der Mitte.  Und es gibt auch Entwicklungen, bei denen sich die einen Merkmale in die eine Richtung entwickeln und andere in die andere Richtung. Die Möglichkeiten sind alle offen.

Es gibt Menschen mit xy-Chromosomen, die sich körperlich zu Frauen entwickeln und Menschen mit Chromosomenkombinationen wie xx-xy-Mosaike.

Es gibt Frauen, die grösser sind als andere und es gibt Männer, die mehr Muskeln haben als andere.

Es gibt Menschen, die tiefe Stimmen haben und es gibt Menschen, die hohe Stimmen haben.

Es gibt Menschen, die haben einen Testosteronspiegel der höher ist, als der Testosteronspiegel anderer Menschen.
Es gibt Menschen, die haben einen Östrogenspiegel, der höher ist, als der Östrogenspiegel anderer Menschen.

Es gibt Menschen, die behaarter sind als andere.

Ich könnte die Liste endlos fortsetzen.

Was klar werden dürfte:  Alle Menschen sind geschlechtliche Normvariationen, weil wir alle nicht dem Bild, dem Klischee, dem Stereotyp von Barbie und Ken, oder Adam und Eva entsprechen.

Man könnte auch sagen, wir sind alle vielfältig. Ich komme zurück auf die Bücherverbrennung. Das Institut von Hirschfeld wurde 1933 zerstört. Nach Naziideologie sollten deutsche Männer echte Männer sein und deutsche Frauen echte Frauen. Man drehte die Wissenschaft ins Gegenteil: Die Wissenschaft diente nicht mehr dazu, Wissen zu schaffen. Weltbilder wurden nicht an die Menschen angepasst und damit wissenschaftlich gearbeitet sondern es wurde versucht die Menschen an ein Weltbild anzupassen.

Manche fragen sich vielleicht: Warum muss da jemand wieder den Nationalsozialismus auskramen. Andere mögen argumentieren: Das ist ja alles lang her, wir haben aus der Geschichte gelernt.  Ist dem wirklich so?

In den 50er-Jahren erklärte man sich Homosexualität so: Menschen, die in ihrer Kindheit keinen normalen Identifizierungsprozess durchmachen, würden „schwul“ oder „lesbisch“ werden. Psychologen waren der Ansicht, dass Väter, die mit ihren Söhnen Angeln gehen oder ein Fussballspiel besuchen, richtige Männer werden. Sie vertraten auch die Ansicht, dass Kuchenbacken und Wäschewaschen richtige Mädchen macht.

In den 60er-Jahren begannen die Menschen sich zu emanzipieren. Doch die Antwort auf diese Emanzipationsbewegung bliebt nicht aus. Galt Homosexualität bis Anfang der 70er Jahre noch als psychische Störung, so sagte man nun: Homosexualität im Erachsenenalter ist ok, da könne man, so glauben manche Psychologen noch heute, ja nichts mehr ändern,  aber im Kindesalter wären Menschen noch erziehbar.

Und die, bei denen Hopfen und Malz verloren ist, die sich schlecht anpassen lassen, so behaupten manche ewiggestrigen Psychologen noch heute, würden dann später womöglich transsexuell.

Und die, bei denen körperliche Merkmale da sind, die nicht ins Schema passen,  nennt die Medizin noch heute intersexuell.

Noch heute gelten transsexuelle Menschen in Deutschland als psychisch krank und man bezeichnet transsexuelle Frauen als „Männer, die als Frauen leben“ wollen, anstatt sie in ihrem eigentlichen Geschlecht anzuerkennen. Bis 2011 wurden transsexuelle Menschen zwangssterilisiert, wenn sie in ihrem eigentlichen Geschlecht vor dem Gesetzgeber anerkannt werden wollten.

Wer hat davon Notiz genommen?

Und noch heute werden auch in Baden-Württemberg Babys mit uneindeutigen Genitalien zwangszugewiesen indem der Chirurg sein Skalpell ansetzt.

Das ist ein Skandal!

Wir haben 2014. Die Bücherverbrennung ist über 80 Jahre her, das Ende des Nationalsozialismus knapp 70 Jahre. Wie kann das sein? Was ist da schief gelaufen?

Wenn wir 2014 immer noch meinen, dass Menschen sich an ein stereotypes Weltbild anpassen müssen, dann ist da was ziemlich kaputt.

Anpassung: Daran glauben immer noch welche. Ich möchte noch einmal daran erinnern, welches Jahr wird haben. Es ist 2014. Und es ist eine Schande, dass es heute noch Menschen gibt, die allen ernstes glauben dass ein „ich wusste doch nicht Bescheid“ eine gute Entschuldigung ist. Sie war es früher nicht und sie ist es auch dann nicht, wenn man eine Petition unterschreibt, die sich gegen Aufklärung in Sachen „geschlechtlicher Vielfalt“ richtet.

Lassen sie uns damit aufhören, Menschen unsichtbar zu machen, die sich nicht an die stereotype Vorstellung von Mann und Frau anpassen können.  Geschlechtliche Abweichungen lassen sich nicht wegbeten!

Lassen sie uns damit beginnen, zu verstehen, dass nicht die Menschen ein Problem haben, die geschlechtlich normvariant geboren werden - sondern dass die Weltvorstellung, die davon ausgeht, dass geschlechtliche Vielfalt mit Skalpell, psychiatrischer Diagnose oder Gesetzen verhindert werden kann – also indem man Menschen anpasst, die nicht ins Schema passen... das eigentliche Problem ist. Und es ist noch ein grösseres, wenn man von diesen Menschenrechtsverletzungen nichts hören will und verhindern will, dass an den Schulen darüber aufgeklärt wird!

Lassen sie mich trotzdem positiv enden: Wenn Menschen Aufklärung verhindern wollen und rufen „ich will keine Aufklärung“... über was wird dann wohl geredet werden: Über Aufklärung!

Danke.