Neue Untersuchung zur Diskriminierung von LSBTTIQ-Menschen

Am 24.06.2014 stellte die Familienforschung Baden-Württemberg im Rahmen des CSD-Empfangs im neuen Schloss (Sitz der Landesregierung) die ersten Ergebnisse einer Onlinebefragung vor. Die Veröffentlichung der kompletten Studie mit allen Ergebnissen soll nach der Sommerpause erfolgen. Gedanken dazu von Christina Schieferdecker.

Was uns als ATME an den Ergebnissen nicht überrascht, ist die starke Diskriminierung transsexueller Menschen. So erfahren selbst in dem Bereich der geringsten Diskriminierung, 10 – 20% aller transsexueller Menschen Benachteiligungen und Demütigungen, bis hin zu Bereichen, in denen fast alle Demütigungen erfahren, etwa 80%, im Bereich Familie und Öffegaffenntlichkeit.

Besonders auffällig ist die Art der Demütigung, die 90 % aller transsexueller Menschen im Bereich „nicht anerkannt werden/nicht ernst nehmen”, „Gaffen” und der Kontaktvermeidung erfahren.
Insofern ist der Naziaufmarsch in Stuttgart letzten Samstag gegen Bildung und Minderheiten zwar widerwärtig und schrecklich, aber nur die Spitze des Eisbergs. Dummheit und Ignoranz durch Nicht-Bildung ist ein typisch deutsches Phänomen. Und die Wut, wenn man Menschen ihre Dummheit nehmen möchte, ein typisches Problem von Menschen mit extremistischer Grundhaltung oder starker irrationaler Glaubensüberzeugung.

Dabei ist Nicht-Bildung und Dummheit keinesfallsorte auf bildungsferne Schichten begrenzt, wie gerade die starke Diskriminierung im Gesundheitswesen – also durch Ärzte, Psychotherapeuten und Co. - im Bereich TTI zeigt. Den stärksten Ausschlag haben intersexuelle Menschen in der Grafik.

Doch auch das überrascht nicht, schaut man sich die Geschichte und die Situation der sogenannten Sexualwissenschaft in Deutschland an.
Die Ärzte und Psychotherapeuten – vor allem Psychoanalytiker – waren die Berufsgruppen, die sich am stärksten mit der Ideologie des Nationalsozialismus anfreunden konnten, da sie ihrer Ideologie – vor allem der der Psychoanalytiker – doch sehr nahe waren. Kein Berufsstand hatte so viele NSDAP-Mitglieder, wie der Ärztestand, die sich dann auch fleißig an Zwangskastrationen und der Vernichtung lebensunwerten Lebens beteiligten.
Nach dem Ende des Dritten Reiches blieb vor allem die Ärzte- und Psychotherapeutenschaft von der Entnazifizierung verschont, da man ihre Dienste nach Ende des Krieges dringend benötigte. Und deren Kinder und Enkel sind heute unsere Vertrauensärzte.
1950 gründeten dann zwei überzeugte Nationalsozialisten, Bürger-Prinz und Giese, die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung um ihre im nationalsozialistischen Gedankengut beheimateten Vorstellungen über Geschlecht und Sexualität weiterhin in Deutschland zu verbreiten. Wirklich aufgearbeitet wurde das nie. Auch die Pathologisierung von Geschlecht, und Menschen die nicht den Normen entsprechen, hält bis heute an.

Immer noch werden Lobbyorganisationen wie die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung, deren selbstformulierter Anspruch auf geschlechtliche Fremdbestimmung noch immer Aufrecht erhalten wird, auch von der Bundesregierung beratend hinzugezogen. Deren Mitglieder hatten bedeutenden Anteil an der Entwicklung der Behandlungsstandards transsexueller Menschen und des Transsexuellengesetzes (incl. Zwangskastration). Aktuell sollen übrigens unter Federführung der DGfS in Deutschland wieder neue Standards ausgearbeitet werden. Mit am Start sind die Berliner von der Charité, die ja besonders negativ durch den Versuch, ein transsexuelles Mädchen gegen ihren Wunsch zur Umpolung in die Psychiatrie zu befördern, aufgefallen waren.

"Noch immer das hölzern pedantische Volk,
Noch immer ein rechter Winkel
In jeder Bewegung, und im Gesicht
Der eingefrorene Dünkel.
Sie stelzen noch immer so steif herum,
So kerzengerade geschniegelt,
Als hätten sie verschluckt den Stock,
Womit man sie einst geprügelt".

Deutschland, ein ewiges Wintermärchen.

Vielleicht ist ja die Baden-Württembergische Landesregierung durch die obigen Zahlen, die völlig dem Menschenrechtsbericht von ATME entsprechen, dem sie keinen Glauben schenken wollten, aus ihrem Winterschlaf erwacht und wir können endlich mal zum Frühling übergehen (mit einem bisschen mehr Grün), aber wir werden sehen. Noch haben wir Bodenfrost auf brauner Erde, deutschlandweit.

Download der ersten Studienergebnisse

Hinweis (nicht nur) für SWR-2Hörer

Manchmal gibt es auch Möglichkeit sich zu unterhalten. Die ATME-Vorsitzende Kim Schicklang unterhält sich mit SWR-Moderator Bernd Lechler. Für diejenigen, die auf Grund des Interviews hierher gefunden haben, haben wir eine kleine Fragen-Antwort-Sammlung zusammengestellt.

Hier eine kurze Q&A:

1. Was sind transsexuelle Menschen?

Transsexuelle Menschen werden mit Körpermerkmalen geboren, die nicht ihrem eigentlichen Geschlecht entsprechen. Es gibt Frauen, die auf Grund dieser Körpermerkmale vermännlichten und Männer bei denen diese Vermännlichung nie stattgefunden hat.
 
2. Warum ist „Gender Dysphorie“ etwas anderes als Transsexualität?

„Gender Dysphorie“ ist ein Begriff aus der Psycho-Sexologie. Darunter stellen sich die Menschen, welche den Begriff verwenden Menschen vor, die sich dem anderen sozialen Geschlecht zugehörig fühlten – beispielsweise Jungs, die mit Puppen spielen oder Mädchen, die lieber auf dem Fussballplatz stehen, als in der Puppenstube zu sitzen. ATME lehnt nicht nur die Vorstellung ab, dass Jungs immer mit Jungsspielzeug und Mädchen mit Mädchenspielzeug spielen müssen, sondern hält die Vorstellung, dass man das Geschlecht von Kindern immer an Chromosomen oder Genitalien ablesen kann, für falsch. Ein transsexuelles Mädchen ist beispielsweise (auch im Sinne der Biologie) ein Mädchen.

3. Warum hält ATME Trans* für kein geeigneter (Über-)begriff?

In letzter Zeit hört man häufiger den Begriff „Trans*“. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung dass es Menschen gibt die biologisch das eine sind, aber sich „wie das andere“ (Geschlecht) fühlen. Transsexuelle Menschen fühlen sich aber nicht wie das andere Geschlecht, sondern lernen in einem Coming Out ihr eigenes Geschlecht zu akzeptieren. Dieser Selbstbewusstwerdungsprozess ist nicht einfach, da die körperlichen Merkmale nicht dem eigenen Geschlecht entsprechen. Körperliche Veränderungen wünschen transsexuelle Menschen nicht deswegen um irgendein Geschlecht zu „werden“, sondern um Abweichungen vom eigenen Geschlecht zu korrigieren. Welche Frau will, wenn sie in den Spiegel schaut einen Menschen sehen, der durch den Einfluss von Testosteron aussieht, wie ein Mann? Eben.

4. Welche Klischees halten sich (auch in den Medien) hartnäckig?

Fast alle Medienberichte erzählen bei Transsexualität die Geschichte eines umgewandelten Menschen, der früher ein anderes Geschlecht gewesen sei, als er nun vorgibt. Diese Berichterstattung ist transphob, aber für transsexuelle Menschen Alltag. Entspricht beispielsweise eine transsexuelle Frau dem Stereotyp Frau lauten häufige Schlagzeilen „Diese Frau ist in Wirklichkeit ein Mann“. Entspricht eine transsexuelle Frau dem Stereotyp nicht und wird „männlich“ konnotiert, wird häufig genug behauptet, dass es um das „als Frau leben“ ginge.

Ehrlich gesagt: Diese Art der Sichtweise ist bisher fast allen Berichten, TV-Beiträgen, Zeitungsartikeln gemein. Kern ist immer, einer transsexuellen Frau zu unterstellen, sie sei keine „echte“ Frau (sondern eine „Transfrau“, die keine „Biofrau“ sei und ähnlicher Unsinn).  

5. Was ist „Der Spalt“?

Die Aktion Transsexualität und Menschenrecht e.V. hat die Entstehung von „Der Spalt“ unterstützt. Es handelt sich um einen Film, der die Aussensicht und stereotype Darstellung transsexueller Menschen (siehe 4) umkehrt und damit einen Neuanfang in der Betrachtung von Menschen, die von geschlechtlichen Normen abweichen wagt. In einer Gesellschaft, in denen Menschen bestimmte Körperlichkeiten besitzen sollen, um als Frau oder Mann anerkannt zu werden, gehört Mut dazu, so einen Film zu drehen. Filmverleiher und Kinobetreiber (aber auch Einzelpersonen, die wissen, wo man den Film zeigen kann), finden unter www.derspalt.de mehr Informationen.

Wir hoffen, dass diese ersten Antworten helfen können, den Menschen, die über die SWR2-Sendung auf diese Seite gelangt sind, einen kleinen Einblick zu verschaffen. Wenn sie mögen, laden Sie sich auch einfach auf der Rechten Seite die beiden verlinkten pdf-Dokumente herunter.

Falls weitere Fragen bestehen, können Sie sich gerne an uns wenden.

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