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Ort für Schutz vor Gewalt? Oder Ort der Gewalt? Das LGBT-Flüchtlingsheim in Berlin

In diesem Jahr sind wir mehrfach von einer Gruppe von Menschen in Berlin angeschrieben worden, welche die Zustände innerhalb des dortigen LGBT-Flüchtlingsheims als katastrophal ansieht. Am 25. Oktober organisierten sie eine Demonstration, die "gegen die unmenschlichen Bedingungen, permanente Diskriminierungen durch Verwaltung und Securities sowie die sexuelle Belästigung durch Securities" gerichtet gewesen ist. Auch Selbstmorde werden von der Gruppe thematisiert. In der tageszeitung (taz) in Berlin erschien an 13. November unter dem Titel "Neues Leben Berlin" ein Artikel, der genau das Gegenteil darstellt und eher als Werbebeitrag für das Projekt bezeichnet werden könnte. Wie passt das zusammen?

Wenn zwei Erzählungen über eine Sache in krassem Gegensatz zueinander stehen, ist es angebracht, sich etwas näher anzusehen und zu fragen: Was ist da los?

Träger des LGBT-Flüchtlingsheims ist die Schwulenberatung Berlin. Zu diesem Verein schreibt die Aktivistinnengruppe in Berlin:

"Nach Selbstmorden und psychischen Zusammenbrüchen mehrerer dort stationierter Flüchtender fordern wir die sofortige Entlassung der Verwaltung, Security Firma und die Auflösung der Trägerschaft der die “Schwulenberatung Berlin e.V.”, die für die brutalen vorherrschenden Zustände verantwortlich ist."

Im taz-Artikel heisst es:

"Anders als andere Unterkünfte für Geflüchtete in Berlin, die umgewandelte Räume wie Sporthallen, Container oder selbst Flughafenhallen waren, ist das Heim in Treptow-Köpenick immer ein gewöhnliches Wohnhaus gewesen. Einige der Bewohner sind zwar Gewalt und Diskriminierung entkommen, werden aber immer noch aus den Herkunftsländern oder von Landsleuten in Berlin bedroht. Deshalb ist der Zugang zu dem unscheinbaren Haus für Unbefugte auch nicht ohne Weiteres möglich."

Die Berliner Aktivistinnengruppe berichtete uns, dass einer Frau, die in diesem Heim Schutz gesucht hatte, aus "unbekannten Gründen (evtl. aufgrund politischer und sozialer Auseinandersetzungen)" die Unterstützung durch eine dolmetschende Person entzogen war. Zuvor sei es zu Gewalterfahrungen innerhalb des Heimes gekommen.

In dem Artikel der taz wird eine andere Person erwähnt, welche sich schon früh als "Transfrau" indentifiziert habe und bereits seit zwei Jahren in dem Heim lebe. Von Gewalterfahrungen innerhalb des Heimes wird in dem taz-Artikel nicht gesprochen.

Wir würden gerne folgendes wissen:

  • Wie ist es zu bewerten, dass ein solcher taz-Artikel erscheint, der nicht auf die Demonstration und die Aktivistinnen eingeht, die auf Gewalterfahrungen innerhalb des LGBT-Heimes hinweisen?
  • Wie ist es zu bewerten, dass ein solcher Artikel in der taz erscheint, ein paar Wochen nach der Ankündigung der Demonstration durch die Berliner Aktivistinnengruppe?
  • Wie ist es zu bewerten, dass in dem Artikel eine Person beschrieben wird, die sich schon früh als "Transfrau" "identifizierte" (und in dem Text der taz Gutes über das Heim erzählt), während - neben der Schwulenberatung selbst - Vereinen wie die dgti in Berlin und dem Integrationsbeauftragten von Treptow-Köpenick zuvor von der Aktivistinnengruppe e-mails mit Beschreibungen der Probleme innerhalb des Heimes zugesandt worden sind?
  • Wie ist es zu bewerten, dass in dem Artikel der taz Antje Sanogo, Leiterin der Einrichtung der Schwulenberatung zu Wort kommt, aber die Aktivistinnengruppe nicht? War der Autor nicht über diese Gruppe informiert oder wusste er, dass diese bereits mehrfach auf Gewalterfahrungen innerhalb des Heimes hingewiesen hatte?

Es wäre schön, wenn diese Fragen jemand beatworten könnte.

Links:
Artikel der taz
Demonstrationsaufruf der Aktivistinnengruppe

Update vom 14.11.2019:

Nach einem Telefonat mit dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten in Berlin wurde uns mitgeteilt, dass es keine Selbstmorde gegeben habe. Ausserdem sind wir darauf hingewiesen worden, dass in einem Tumblr-Artikel der Aktivistinnengruppe, welcher die Zustände in dem Heim beschreiben soll, Fotos verwendet worden sind, die nicht das Heim zeigen. Nach einer ATME-Recherche können wir diese Aussage bestätigen. Die in dem Artikel verwendeten Fotos zeigen Flüchtlingsheime in Berlin-Hellersdorf (Aussenansicht), Magdeburg (Zimmer) und Köln (Treppenhaus). Wir haben die Gruppe, sowie die Schwulenberatung Berlin angeschrieben und um eine Erklärung gebeten.

Update vom 19.11.2019:

Sascha Langenbach, der Pressesprecher des Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten, teilt uns per e-Mail mit:

"Das LAF hat vor einigen Monaten Kenntnis von anonymisierten Vorwürfen gegen eine unserer Unterkünfte erhalten. Dort sind Menschen untergebracht die angeben, aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in ihren Heimatländern verfolgt worden zu sein. Angeblich seien die Wohnbedingungen menschenunwürdig was die Räume betrifft, ebenso wurde von Übergriffen aus dem Mitarbeiter-Team berichtet. Hierzu stellen wir fest: Die öffentlich gemachten Vorwürfe zu Selbstmorden in der Unterkunft sind falsch. Es gab dort keine Selbstmorde. Die im Zusammenhang mit dem Bericht veröffentlichten Fotos der Unterkünfte sind falsch. Sie zeigen weder die Unterkunft von außen, noch die Innenräume. Die Qualitätssicherung des LAF überprüft die Gegebenheiten (Hygiene, Qualifikation der Mitarbeitenden, etc.)  in dieser Unterkunft, wie in anderen Unterkünften auch, regelmäßig. Dazu gehört auch die Prüfung der Qualifikationen der dort eingesetzten Kräfte des Sicherheitsdienstleisters. Die öffentlich gemachten Beanstandungen entsprechen in keiner Weise den vor Ort angetroffenen Bedingungen."