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Geschlechtsidentitäten - dekonstruieren oder doch konstruieren?

Die Soziologin Sabine Hark meint in einem Text, der auf der Website von Deutschlandfunk Kultur nachzulesen ist, dass die Feinde der Demokratie täglich lauter würden und dies auch da zu sehen sei, wo das Fach "Gender Studies" abgeschafft wird. Genannt wird u.a. Victor Orban. Wir finden: Sie hat Recht. Gleichzeitig stellen wir uns aber die Frage: Welchen Teil haben Menschen dazu beigetragen, die von "Transpersonen" und "Interpersonen" sprechen?

Von "Inter" und "Trans" als Identitäten zu sprechen, basiert auf einer fremdbestimmenden, medizinisch-psychiatrischen Sicht, die Menschen nach Körperzuständen einteilt und zugleich sagt, dass Menschen, die sich anders äussern als ihre Körpermerkmale eine abweichende soziale Identifikation entwickelt hätten. Wenn daraus "Transpersonen" und "Interpersonen" gemacht werden, wird dieses Konzept genutzt um Gender-Schubladen einzuführen. Auch Sabine Hark spricht in Interviews von "Interpersonen" und "Transpersonen" (beispielsweise in einem Interview mit derstandard.de am 4.7.2018).

Wir haben schon oft darauf hingewiesen, dass wir der Ansicht sind, dass es sich bei dieser Konstruktion identitärer Schubladen um einen biologistischen Akt handelt.

Der biologistische Akt ist der, zu behaupten, Frauen mit Körpervariationen seien keine natürlichen* Frauen (siehe Fussnote), sondern Menschen, die sich mit dem Stereotyp "Frau" identifizieren. Nicht jeder Mensch mit Körpervariation hat aber ein grosses Interesse daran, die Menschen (eingeschlossen sich selbst) in identitäre Schubladen einzuteilen. Gemäss dieser Logik wurde in den letzten Jahren eine psycho-medizinische Neufassung dieser Idee entwickelt, die konkrete Auswirkungen auf Menschen hat: Menschen, die medizinische Hilfe auf Grund körperlicher Variationen wünschen, müssen einer Behandlung zustimmen, in denen es um "Geschlechtsidentität" geht und sie mit den Stereotypen von Medizinern und Psychotherapeuten konfrontiert sind, anstatt die Behandlung zu erhalten, die sie wünschen - frei von Fragen nach Kindheit, Sexualpartnern oder anderen Dingen, die Behandler mit "Geschlechtsidentität" in Zusammenhang bringen.

Was hat das mit der Beschäftigung mit "Gender" in der Wissenschaft zu tun? Eine ganze Menge. In den "Gender Studies" müsste der Zusammenhang zwischen der Konstruktion von "Geschlechtsidentitäten" und konkreten Auswirkungen auf Menschen (Medizinermacht, Psychiatermacht, etc.) untersucht werden. Unser Eindruck ist: Das geschieht viel zu wenig.

Sich mit "Gender" zu beschäftigen, ging auf die Idee, sich mit sozialen Gruppenkonstruktionen zu beschäftigen, um diese Konstruktionen zu hinterfragen. Begonnen hatte das mit der Frage: Warum werden Menschen, die einen bestimmten Körper mitbringen in die jeweils eine oder andere gesellschaftliche Schublade gesteckt und aus dem Körper dann die Rolle und Funktion abgeleitet (Kleidung, Berufsmöglichkeit, Löhne und Gehälter etc.)?

Wenn aber das umgekehrte getan wird, und das Ziel nicht mehr ist, die Gruppenkonstruktionen zu hinterfragen oder künstliche Grenzen aufzulösen, sondern neue Trennlinien eingezogen werden - das ist beispielsweise dann der Fall, wenn Menschen auf Grund körperlicher Merkmale als "Transpersonen" oder "Interpersonen" bezeichnet werden, wenn von "transgeschlechtlich" oder "intergeschlechtlich" die Rede ist oder sogar neben zwei sozialen Geschlechtern ein drittes eingeführt werden soll - dann ist die Beschäftigung mit "Gender" pervertiert worden.

Und genau an diesem Punkt stehen wir: Geht es um die Auflösung von Geschlechteridentitäten oder um die Neufassung von Geschlechtsidentitäten?

Diese Frage halten wir für eine der entscheidenden Fragen. Diese hat eine Menge mit den Ursachen politischer Entwicklungen zu tun. Wir sind übrigens für die Auflösung von institutionellen und staatlich vorgeschriebenen "Geschlechtsidentitäten".

Update. Nachdem Sabine Hark von unserer Kritik erfahren hat, bekamen wir folgende Antwort:

"Bedenkenswerter Kommentar. Persönlich bin ich auch für die Dekonstruktion des politisch gestifteten Zusammenhangs von sex-gender-Begehren-Identität und die generelle Streichung des Geschlechtseintrags aus dem Personenstand. Long way to go though."

Danke für diesen Kommentar, der sich auf den unseren von heute morgen bezieht, in welchem wir Kritik geäussert haben zur Konstruktion von Geschlechterschubladen. Ob es nun keine Geschlechtseinträge gibt, oder diese sich frei wählen lassen ist für uns dennoch nicht der springende Punkt. Was wir hinterfragen ist der Akt der geschlechtlichen Zuteilung. Also: Wer steckt wen warum in was für Schubladen? Handelt es sich um eine Zuteilung von Aussen oder um eine Äusserung eines Menschen zu sich selbst? Und: Wie respektieren wir die Aussagen von Menschen über sich selbst? Was heisst das dann, wenn ein Mensch sich zu seinem eigenen Geschlecht - was immer das auch sein soll - bekennt? Dazu kommt: Wie können wir eine medizinische Versorgung für Menschen sicher stellen, die wissen, dass ihre Körpermerkmale (vereinfacht gesagt) "irgendwie falsch" sind und darunter leiden? Müssen wir auf Vorstellungen von geschlechtlichen Kategorisierungen zurück greifen? Oder reicht es, wenn Medizin sich darum kümmert, das Leiden von Menschen zu lindern (was eine Medizin ohne Genderdeutung wäre, die wir ja gut fänden)?

Wir würden gerne darüber reden und freuen uns über einen Diskurs.

Links:
Text im Deutschlandfunk
Interview bei derstandard.de

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*Was immer auch "natürlich" bedeutet. Wir gehen nicht davon aus, dass Kinder als "Frau" auf die Welt kommen. Dennoch halten wir die Aussagen von Menschen, die sich emanzipieren und sich zu sich selbst äussern (im Sinne eines Coming Outs) nicht für Beschreibungen des augenblicklichen Identifizierungszustandes, sondern für Aussagen über etwas, das angeboren ist.